■ Iran: Alles Lob für den freundlichen Präsidenten Chatami entbindet Europa nicht von der Frage: Wie weiter mit der Menschenrechtspolitik?
: Die Zweifel bleiben

„Nun telefoniert er wieder, Gott sei Dank!“ Diesen Stoßseufzer, frei nach Wilhelm Busch, mögen deutsche Kaufleute von sich gegeben haben, als sie vergangene Woche von Klaus Kinkels Gespräch mit seinem iranischen Amtskollegen Charrasi hörten. Die „Normalisierung“ zwischen EU und Iran macht Fortschritte. Das mag fürs Geschäft erfreulich sein – wie aber steht es um die Menschenrechtspolitik? Gerade vor dem Hintergrund des Todesurteils gegen ihren Kollegen Hofer müßten sich die europäischen Iran-Händler und -Investoren auch mit den iranischen Opfern grausamer Rechtsbestimmungen und Strafen solidarisieren. Wenn die europäischen Geschäftsleute jetzt nicht verstanden haben, daß gnadenlose Intoleranz ein schlechtes Investitionsklima schafft, wann dann?

Und wie steht es um die europäischen Regierungen? Abwarten, Tee trinken und auf den Reformer Chatami hoffen – das scheint das Motto der Politiker und der Träger der veröffentlichten Meinung zu sein. Auch die gewöhnlich nicht so schweigsamen Wissenschaftler und Denker räumen bereitwillig das Feld und verzichten weitgehend auf eine kontroverse Diskussion.

Es wäre durchaus ein viel profunderer Blick in die Abgründe und Strukturen des Teheraner Regimes möglich, wenn hierzulande eine offene Auseinandersetzung zwischen den Sachkundigen geführt würde. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die radikalsten und gemeinsten Ausfälle der Hardliner des Regimes haben unter anderem auch mit dem Gestrüpp von wirtschaftlichen Organisationen und Stiftungen zu tun, die den Iran überziehen. Die strengsten „Sittenwächter“ haben Angst vor dem Verlust ihrer Finanzierungsquellen. In der deutschen Diskussion wird der Zusammenhang zwischen Ideologie und ökonomischen Interessen zwar erwähnt, wo aber sind die politologischen Analysen, die diese Strukturen ausleuchten?

Auch die jüngsten Entwicklungen der internationalen Politik lassen befürchten, daß sich an der abwartenden Haltung gegenüber dem Iran wenig ändern wird. In Sachen Menschen- und Bürgerrechte existiert zwar in Ansätzen ein einheitlicher weltweiter Rechtsraum, dessen Sachwalterin die Vereinten Nationen sind. Kofi Annans „Wunder von Bagdad“ hat gezeigt, daß diese Welt um einiges friedlicher und freier sein könnte, wenn die Weltorganisation einen größeren Einfluß hätte. Bislang zeigt das Regime der Islamischen Republik aber wenig Bereitschaft, sich ernsthaft mit den Berichten der UNO- Sonderkommission zur Menschenrechtssituation im Iran auseinanderzusetzen. Menschenrecht ist jedoch Völkerrecht und damit für den Iran ebenso bindend wie für Deutschland, Rußland, die USA oder Israel.

Auf Dauer werden die Regierenden in Teheran am Völkerrecht sowenig vorbeikommen wie die in Ankara, Algier oder Kabul. Noch ist es – zumindest theoretisch – die Grundlage der Außenpolitik der Europäischen Union gegenüber dem Iran. Ironischerweise könnten gerade die USA mit dazu beitragen, dieses Prinzip zu verwässern. Washington arbeitet derzeit an einer Revision seiner alten Blockadehaltung gegenüber dem Iran. Es wäre kein großer Verlust, denn tatsächlich hat diese Politik für die Menschenrechte überhaupt nichts gebracht. In Zukunft aber könnten die Vereinigten Staaten das Kind mit dem Bade ausschütten.

Während die EU – wenn auch zurückhaltend – eine Verbesserung der Menschenrechtssituation im Iran fordert, verlangen die Vereinigten Staaten nur Änderungen der Beziehungen des Iran zur Außenwelt: keine Unterstützung des Terrorismus, keine Massenvernichtungswaffen, keine Störung des Nahost-Friedensprozesses. Es handelt sich dabei um klassische Außenpolitik, die die innergesellschaftlichen Verhältnisse und die Beziehungen zwischen Staaten strikt voneinander trennt.

Trotz aller Anti-USA-Propaganda könnten schon bald alle Flügel des Teheraner Regimes ein Arrangement mit den Vereinigten Staaten der Kooperation mit der „lästigen“ EU vorziehen. Dringend erforderlich ist daher ein politischer Konsens zwischen EU und den USA, der auch die Menschenrechte zum zentralen Thema einer gemeinsamen Iran-Politik macht. Es ist erstaunlich, wie wenig die Hardliner im Iran gegenwärtig in die internationale Kritik geraten. Diese wäre aber viel wichtiger, als den freundlichen Präsidenten Chatami ständig zu loben. Denn im Iran ist unter Muslimen längst ein kontroverser Diskurs im Gange über Fragen wie: Würde Prophet Mohammed, lebte er heute, tatsächlich der Steinigung das Wort reden? Würde er überhaupt die strafrechtliche Kontrolle des Privatlebens von Menschen unterstützen? Würde er die Verfolgung der Bahai, die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen gutheißen? Aufgrund dieser Fragestellungen werden seit Jahren schiitische Geistliche und andere Denker bedroht, unter Hausarrest gestellt, ins Gefängnis geworfen. Auch im Umkreis „der Mullahs“ gibt es Leute, die zu dem Schluß gekommen sind, daß es das Vernünftigste sei, Staat und Religion voneinander zu trennen.

Der „Dialog der Kulturen“ darf nicht unter der abgestandenen Schminke diplomatischer Höflichkeiten erstarren. Ein ungeschminkter Dialog setzt voraus, daß eine unzensierte Zusammenarbeit von kulturellen Basisinitiativen möglich ist. Wir brauchen in Deutschland mehr Übersetzungen von Romanen, Kurzgeschichten und Gedichten aus dem Iran. Aber dann muß auch klar sein, daß den Autorinnen und Autoren im Iran nicht nur ein unzensiertes Publikationsrecht, sondern auch der Schutz vor Verfolgung garantiert wird! Und daß sie und alle anderen Berufsgruppen unabhängige, selbstbestimmte Organisationen gründen können!

Europäische Journalistenverbände sollten Patenschaften für ihre kritischen iranischen Kollegen übernehmen. Dabei dürften dann aber nicht diejenigen Autoren ausgegrenzt werden, die im Iran keine halboffizielle oder offizielle Protektion genießen. Heute gibt es im Iran wesentlich mehr Zeitungen als zuvor, heißt es. Der Rufmord und die Ausgrenzung prominenter Künstler und Schriftsteller habe ein Ende gefunden, wird gesagt.

All das möchte man ja gerne glauben. Aber solange nicht klar ist, ob der regimekritische Journalist Faradsch Sarkuhi nach seiner Freilassung im Januar das Land auch wirklich verlassen kann, solange der Iran weiterhin durch Todesurteile und willkürliche Festnahmen von sich reden macht, bleiben die Zweifel zumindest ebenso groß wie die Zuversicht. Martin Forberg