piwik no script img

„Hier demonstriert der Wohlstandsmüll“

■ Mit dem Mut der Verzweifelten demonstrieren Arbeitslose an ihrem allmonatlichen Aktionstag. Im Frankfurter Bankenviertel umwerben sie Angestellte, die bald selbst auf der Straße sitzen könnten

Frankfurt/Main (taz) – „Da is' die Bomb' drin“, ruft ein Arbeitsloser in dick wattierter Jacke. Zum Festhalten ist es zu spät, der Einkaufswagen mit der verschlossenen Sporttasche darin gehorcht nur noch den Gesetzen der Physik. Von einer heftigen Windböe losgerissen rast der Gitterwagen auf den spiegelverglasten rechten Turm der größten deutschen Bank zu – Panik beim verdoppelten Wachpersonal im Eingangsbereich des Deutsche-Bank-Towers.

Kurz vor dem befürchteten großen Knall springt der Besitzer dazwischen. Der Mann hat die Lacher auf seiner Seite: In der Sporttasche waren Flugblätter. Bei den monatlichen bundesweiten Arbeitslosenprotesten blieb gestern auch in Frankfurt alles friedlich, für Wirbel sorgte nur das Wetter.

Wie des Geyers verlorener Haufen in den Bauernkriegen des 15. Jahrhunderts wirken die Demonstranten am Treffpunkt vor dem Arbeitsamt. Nur einige hundert Menschen kamen zusammen, junge Leute ohne Ausbildungsplätze, ältere Langzeitarbeitslose, Gewerkschaftsaktivisten, Wohnsitzlose. Schließlich bricht der kleine Zug auf in Richtung der Zentrale der Deutschen Bank.

Eine symbolische Szene: Vor den Türen eines Unternehmens, dessen Umsatzvolumen seit Jahren das des Bundeshaushaltes übersteigt, gibt der Verein für Wohnsitzlose und Arme kostenlos Suppe aus. Daneben flattern im Wind die roten Fahnen der IG Metall und die weißen der HBV. So heftig sind inzwischen die Böen geworden, daß sich die Transparente kaum behaupten können: „Arbeitslosengeld an die Gewinne der Unternehmen anpassen“, ist dort zu lesen. Oder sarkastisch knapp: „Hier demonstriert der Wohlstandsmüll.“

Die Bankangestellten hasten vorbei, wollen nicht mit Demonstranten reden, denen die Armut und die Verzweiflung schon anzusehen ist. Zu beängstigend ist vielleicht die Vorstellung, daß sie selbst demnächst dem Heer der Arbeitslosen angehören könnten. Rund 5.000 Stellen will die Deutsche Bank bis zur Jahrtausendwende abbauen.

Wohin die Angestellten im Fall der Fälle gehen können, hat ihnen ihr Chefökonom Norbert Walter schon gesagt: in die Vereinigten Staaten.

„Hier werden Verhältnisse geschaffen wie im 19. Jahrhundert“, warnt der Autor Reiner Roth auf der Kundgebung und prangert den Zynismus der „Peanutsbank“ an. „Banker laßt das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein.“ Eine rasch vom Winde verwehte Parole.

Ein Sprecher der IG Metall fordert die Arbeitslosen auf, doch bis 16 Uhr zu bleiben. Dann beginne die Kundgebung der Gewerkschaft zur gefährdeten Tarifautonomie. Schließlich habe man die Gewerkschaftsveranstaltung „nur aus Solidarität mit den Arbeitslosen“ vor die Deutsche Bank verlegt. Kein Beifall. Es wird noch Suppe geordert.

„Tarifautonomie? Meinen Tarif legt das Arbeitsamt fest – und demnächst das Sozialamt.“ Verbitterung bei einzelnen. Aber auch kämpferische Töne, vor allem bei den Jugendlichen und den jungen Erwachsenen.

„Angriff ist die beste Verteidigung: Arbeitslose aller Länder vereinigt euch“, steht auf dem gelben Zettel, den sich viele auf die Jacken geklebt haben. Die Werbeabteilung des Aktienkursmagazins Forbes hat die Parole von Karl Marx übrigens gleichfalls aufgegriffen: „Kapitalisten aller Länder vereinigt euch.“ Schließlich gilt es, 150 Jahre Kommunistisches Manifest gebührend zu feiern. Klaus-Peter Klingelschmitt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen