Heidi, was für 'ne Marke!

Die Neuinszenierung einer touristischen Region. Heidiland in der Ostschweiz will naturverbundene Begehrlichkeiten wecken. Die Schweizer Bergikone spricht nostalgische Gefühlswelten an, die Legende lebt  ■ Von Günter Ermlich

Wir sind keine Touristenfalle, aber wir brauchen einen Köder. Das ist das Heidi und das Heidiland. Ohne diesen Köder können wir unsere Region nicht verkaufen“, bekennt Urs Kamber, der Geschäftsführer und Macher von Heidiland Tourismus in der Ostschweiz. Heidiland liegt in der Voralpenlandschaft, südwestlich von Liechtenstein, eine Autostunde vom Bodensee, eine Zugstunde von Zürich entfernt. Bisher eine typische Durchreiseregion gen Süden.

Das Heidi, die kleine Heldin aus dem Kinderroman von Johanna Spyri, ist so bekannt wie Coca- Cola und Audi, Lady Di oder Bobele Becker, hatte ein Zürcher Institut in einer marktpsychologischen Studie herausgefunden. Aus der großen Popularität der Bergikone will die Tourismusregion mit dem Sarganserland, dem Walensee, der Bündner Herrschaft und der Wartau – im Ausland eine Terra incognita – Kapital schlagen. So will man sich auf dem umkämpften Tourismusmarkt profilieren. „Heidis Lehr- und Wanderjahre“ erzählt die Geschichte vom Waisenkind Heidi, das von der Base Dete auf die Alm zum Großvater gegeben wird und dort mit dem Hütejungen Geißen-Peter und den Geißen Schwänli und Bärli herumtollt. Weil der eigenwillige Alm-Öhi es nicht in die Schule schicken will, bringt Dete es später zu den Sesemanns nach Frankfurt, als Spielgefährtin der gelähmten Klara. Von der Wirtschaftsdame Fräulein Rottenmaier geplagt, ganz krank und vor Heimweh verzehrt, kehrt das Heidi heim zum Großvater in die Berge, wo es prompt wieder aufblüht.

Die Alpen-Kindersaga wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt, verkaufte sich in gut 20 Millionen Exemplaren. Dutzende von Verfilmungen – die erste 1937 mit Shirley Temple als Heidi, die längste 1979 in einer 26teiligen Fernsehserie in deutsch-Schweizer-australischer Koproduktion –, Musicals, Theaterstücke, Comic-Strips. Und die immergrüne „Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge“-Schnulze. Das unschuldige Maitli mußte als „Porno-Heidi“ herhalten wie auch als Wachsfigur. Eine Ausstellung des Johanna-Spyri-Museums in Hirzel bei Zürich zeigt, welch seltsame Blüten das Heidi-Fieber schon produziert hat.

Fürwahr, ein prima Stoff auch für touristische Marketingträume. Seit drei Jahren läuft die generalstabsmäßige Marketingoffensive, die durch die beiden Schlagworte (Dach-)Marke und Destination gekennzeichnet ist. Die bis dato hinterwäldlerisch auftretende, kleinkariert handelnde Region wurde in die „Tourismusdestination Heidiland“ verwandelt.

Heidi und Heidiland sind Marken, „starke Marken“, wie Geschäftsführer Kamber betont. Denn Urlaub, so die Botschaft der Ferienwerber, soll Emotionen wecken. Mallorca? Ballermann 6! Goa? Kifferpartys am Strand! Amrum? Wattwanderungen satt! Aber Flumserberg und Bad Ragaz? Das Sarganserland? Nie gehört. Touristische Unorte, die keine Urlaubsemotionen versprühen. Wenn man zum Beispiel aus dem Sarganserland eine Marke machen wollte, wäre das unbezahlbar, sagt Marketingprofi Kamber, der früher als internationaler PR- und Promotionchef der Uhrenfirma Swatch tätig war.

Die zentrale Marktingorganisation Heidiland Tourismus verkauft und vermarktet die touristische Region als Einheit – Werbebudget für 1998: eine Million Schweizer Franken – zum Beispiel durch gemeinsame Kataloge für Hotels und Ferienwohnungen und einen gemeinsamen Angebotskatalog, der die gesamte Produktpalette auflistet: „Gesundheit und Lebensfreude“ mit Wellness, Fitness und Beauty total in Bad Ragaz, „Abenteuer“ von Gleitschirmfliegen bis Abseilen an der Staumauer, „Winter-Action“ von Carven bis Eisfallklettern, „Kultur“ mit vielen Museen und Alphornblasen lernen, kulinarische und ökologische Weekends. Heidiland will die Philosophie der Heidi-Geschichte dem Gast rüberbringen, als Synonym für erholsame und gesund machende Ferien in einer natürlichen Umwelt. Viele Menschen verbinden mit Heidi, so die Zürcher marktpsychologische Studie, Menschlichkeit in der Bergwelt, Wärme, Gastfreundschaft und Lebensqualität.

Das Trendbüro Wippermann entdeckte zwei konträre Megatrendwelten der Zukunft: einerseits das „Posthumane“, das sich in virtuellen Computerwelten und künstlichen Paradiesen (Internet, Cyberspace) ausdrückt, aber auch Techno umfaßt; andererseits „Purifikation“ und „Heimweh“, die eine Rückkehr der Nostalgie, ein „Zurück zur Natur“ bedeutet. An diesem Retro-Trend will Heidiland ansetzen. Deshalb dürfe man die Heidi-Figur auch keinesfalls als moderne Trendsportlerin, zum Beispiel als Snowboarderin, „verkleiden“, gibt die Zürcher Studie zu bedenken.

Fremdenverkehr gehört zur Schweiz wie Kühe, Schokolade und Uhren. „Wir haben mittelmäßige Qualität zu übertriebenen Preisen angeboten. Die Gäste wurden eine Zeit lang richtiggehend abgezockt“, rekapituliert Heidiland-Geschäftsführer Kamber. Viele Hoteliers hätten zu lange von den goldenen Zeiten geträumt, als die Stammgäste ganz von allein kamen. Doch Bali und die Dominikanische Repubik machten der Schweiz die Gäste streitig, und die Hotels in Spanien waren nicht mehr so schlecht wie ihr Ruf.

Heidi, „das arme Tröpfli“ (O- Ton Roman), ist seit langem eine begehrte touristische Werbeträgerin. So hatte St. Moritz im Oberengadin schon im Jahr 1978 den Markennamen „Heidiland“ beim Schweizer Bundesamt für geistiges Eigentum schützen lassen. Vor knapp drei Jahren erwarb Kamber ganz legal von St. Moritz die Lizenz, den Namen „Heidiland“ zu führen. Heidi sei eine fiktive Figur und daher nicht standortgebunden, verteidigt Kamber seinen Marketingcoup. Aber Maienfeld im Kanton Graubünden, am anderen Rheinufer von Bad Ragaz im Kanton St. Gallen gelegen, fühlte sich ausgetrickst. „Heidis echte Heimat ist und bleibt Maienfeld“, rief Stadtpräsident Christian Möhr über den Rhein: „Vom freundlichen Dorfe Maienfeld führt ein Fußweg durch grüne, baumreiche Fluren...“ So beginne schließlich die Heidi-Geschichte. Johanna Spyri habe im Nachbarort Jenins Ferien gemacht und dann die Kindergeschichte ins Gebiet hineinprojiziert. US-Amerikanern und Japanern ist die Standortfrage allerdings ziemlich schnuppe: Das Heidi ist für sie die Parabel für eine heile Bergwelt und die Schweiz das globale Bergdorf schlechthin.

Heidiland verzichtet im Corporate Design bewußt auf das personifizerte Heidi: kein Heidi im Dirndl im Katalog, kein Heidi als Logo am Autoheck. Aber die touristische Destination kommt nicht ganz ohne Heidi- Schauplätze aus. Die Bergbahn schwebt hoch zur „Heidalp Schwarzbüel“, wo Heini Kihlmann hofhält. Ein Alm-Öhi wie er im Buche steht, zumindest äußerlich. Im Sommer, wenn das „Heidihaus“ in Maienfeld eröffnet wird, ein Museum mit Mobiliar wie zu Heidis Zeiten vor 120 Jahren, hat auch das Herumirren der Heidi- verrückten Japaner ein Ende. Eine „Heidi-Hütte“ in Flums-Großberg, originalgetreu instandgesetzt, lädt zum Schlafen im Stroh ein, die Morgenwäsche am Brunnen mit kaltem Wasser. Und im Weißtannental sind Stiefelziegen zur Produktion von Ziegenkäse angesiedelt worden, eine Ziegenhirtin soll angestellt werden.

Heidiland. Eine Erfolgsstory? Mal abwarten. „Am Anfang fragten sich die Leute hier: Was soll denn der Sch...!“ erinnert sich Kamber. Es gab massive Zwistigkeiten um den Zusammenschluß, den Namen und den Zuschnitt des Gebiets. Ortsfürsten, Ureinwohner und Gemeindechronisten opponierten heftig. Heute seien die Leute zwar immer noch nicht enthusiastisch, räumt Kamber ein, aber sie hätten gemerkt, „daß wir etwas bewegt haben“. Das Medienecho ist groß, die Region wird neu entdeckt, die Übernachtungszahlen sind gestiegen.

Heidiland Tourismus: CH-7320 Sargtans, Zürcherstraße 11, Postfach 90, Tel.: (0041-81) 720 08 22, Fax: (0041-81) 720 08 28