Es geht um das Gesamtkunstwerk

■ Der Tourismusmarkt der 90er: gesättigt und global. Neue Angebote müssen Begehrenssituationen schaffen. Dazu bedarf es perfekter Inszenierungen. Ein Gespräch mit Albrecht Steinecke über Markt und Mickey Mouse

taz: Tourismus setzt heutzutage auf Inszenierung des Angebots. Diese Inszenierung von Reisen, so Ihre These, muß emotional hochgeladene Begehrenssituationen schaffen. Was ist das?

Albrecht Steinecke: Ich buche eine Reise und erwarte eigentlich emotionale Dinge, die darin stecken. Einen Zusatznutzen. Der Knackpunkt ist wirklich das Begehren. Die Leute sind doch mit allem gesättigt. Es gibt wirklich von allem viel zuviel. Man sucht deshalb das Besondere. Die Leute sind auf der Suche nach dem „Once in a lifetime“-Event. Allerdings suchen sie ihn jedes Jahr.

Und die Veranstalter suchen Marktlücken, denn auch die Märkte sind gesättigt?

Auf der Marktebene besteht die Notwendigkeit, sich zu profilieren. Die ganzen Daten, die uns zur Verfügung stehen, deuten ja auf eine Marktsättigung hin. Ich denke, daß diese erfolgsverwöhnte Branche an Grenzen stößt. Der Kuchen wird nicht größer, das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist die Globalisierung. In diesem sich globalisierenden Markt kommt es für die Anbieter generell darauf an, sich ein klares Profil zu geben und sich deutlich von anderen zu unterscheiden. Und da ist eben die Thematisierungsstrategie im Tourismus eine erfolgreiche Strategie.

Wie funktioniert Inszenierung im Tourismus?

Das ist die marktgerechte Umsetzung eines tourismusrelevanten Themas mit unterschiedlichen Einrichtungen, Akteuren und Partnern. Das zentrale Thema dabei ist das Stück wie im Theater. Es geht um das Gesamtkunstwerk.

Wer sind die Akteure?

Da gibt es, vereinfacht gesagt, zwei großen Gruppen: Das eine sind diese ganzen neuen künstlichen Freizeitwelten, die sich sehr konsequent inszenieren. Disney oder Las Vegas, das sind klassische Inszenierungen. Und diese Freizeitkomplexe setzen die Standards. Inszenierungen gibt es aber auch im öffentlich-rechtlichen Fremdenverkehr. Beispielsweise das Annette-von-Droste-Hülshoff-Jahr oder das Luther-Jahr.

Eher schlichte Inszenierungen...

Sicherlich, im Vergleich mit Disney. Im öffentlichen Fremdenverkehrsbereich ist eine perfekte Inszenierung viel schwieriger zu gewährleisten. Dort ist man häufig nicht in der Lage, aus technischen und finanziellen Gründen diese Standards zu erfüllen. Außerdem haben wir viel zu viele Einzelakteure: Gastronomen, Hoteliers, Normalbürger etc.

Es kann ja nicht jeder Oberbayer als gestandener Wurzelsepp herumlaufen...

Wenn man die Inszenierung zu Ende denkt, dann landet man dabei, daß sich auch die Beteiligten wie Schauspieler verhalten müssen. Und das kann man in abgeschlossenen Räumen schon machen, und man kann die Leute auch unter diesen Bedingungen einstellen. Bei Disney werden sogar die Angestellten als cast- members, also Angehörige einer Schauspielergruppe, bezeichnet. Da wird bei Kundenbefragung die schauspielerische Fähigkeit der Beschäftigten abgefragt und bewertet. Da ist der Begriff der Inszenierung wichtig. Diese Welten sind eben wie Bühnen und Theater. Wenn man Städte oder Regionen hat, begegnet man eben einer Normalbevölkerung, die häufig ein sehr geringes touristisches Bewußtsein hat.

Wo ist der Trend zur Inszenierung des touristischen Angebots am deutlichsten?

Was zur Zeit auf Publikumsinteresse stößt, das ist eben der ganze Musicalbereich, das sind die Multiplex-Kinos, also breite Angebote mit großer Wahlfreiheit und eben Themenangebote. Das zieht sich durch alle Einrichtungen durch, bis hin zu Kultureinrichtungen. Wenn Sie die neue Entwicklung im Kulturbereich betrachten, dann werden Museen zunehmend zu Mixed-Use-Centern. Da wird beispielsweise in Paris ein neues Museum gebaut, wo von vornherein Hotel, Gastronomie und Shoppingbereich mitgeplant werden. Das sind immer diese eigenartigen Entgrenzungen, Vermischungen der Angebotselemente.

Dort lassen sich natürlich Produkte am besten umsetzen...

Ja klar, das hängt aber schon mit der Erwartungshaltung der Kunden zusammen. Also wenn Sie sich den ganzen Musicalbereich anschauen, da gehen ja Leute plötzlich ins Theater, die früher nicht dorthin gingen.

Die Konsumspirale dreht sich weiter. Wie bindet man die Leute in diese Konsumspirale ein?

Also, da müssen die ganzen großen Themen der Menschheitsgeschichte angesprochen werden. Im Grunde die Dinge, die auch in den Kinos oder Filmwelten angesprochen werden. Nicht umsonst gibt es bei den Themenparks auch sehr enge Bezüge zum Film. Sie entstehen ja sehr häufig aus diesem direkten Kontakt mit den Studios, so wie bei Disney oder Warner Brothers. Weil dort Traumbedürfnisse, Visionsbedürfnisse, Schreckbedürfnisse, kalkulierte Ängste, kalkulierbare Gefahren simuliert werden. Das ist letztlich immer Plünderung von Mythen, kritisch formuliert. Unkritisch gesagt: zeitgemäße Umsetzung von Mythen.

Was steckt dahinter, die Sehnsucht nach dem großen Gefühl?

Im Prinzip schon.

Bekommt man denn die großen Gefühle?

Waren Sie schon mal in Disneyland in Paris? Also dort gibt es am Eingang den Town Square, einen Platz, wo die Besucher erst einmal gebunden werden, um den Menschenstrom zu kanalisieren. Dort tauchen dann in gesteuerter Form diese „characters“ aus den ganzen Cartoons auf. Wenn Sie sich da hinsetzen und die Gesichter der Menschen anschauen, die sich Autogramme von Goofy & Co abholen. Also da ist eine Freude in den Gesichtern. Das ist wirklich dieser Typ Begehrenskonsum. Und wenn Sie sich gleichzeitig Urlauber in deutschen Zielgebieten anschauen, was da für eine Langeweile in den Gesichtern ist.

Was ist das Geheimnis gelungener Inszenierung?

Das Geheimnis ist die Professionalität. In dem Moment, wo die Inszenierung perfekt gemacht ist wie in Las Vegas oder bei Disney, läuft es gut. Dort wird vom gestylten Teppichboden, der passenden Wandfarbe bis über Türen und Toiletten alles abgestimmt. Das sind im Grunde genommen Designerhotels, und dort kann man auch kurzfristig abtauchen. In dem Moment, wo die Inszenierung durchschaubar ist, zerfällt die Illusion. Hinter Inszenierung steckt sehr viel intellektuelle Vorleistung und Professionalität.

Aber auch Totalität im Erfassen von Begehrlichkeiten...

Ja, aber die Welt wird künftig nicht nur aus Disneyland und McDonald's bestehen. Der Knackpunkt ist vielmehr, daß diese Anlagen die Standards für die anderen setzen.

Die Leute sind in die Spirale des Erlebniskonsums eingebunden. Dieser erfaßt immer mehr Bereiche mit Konsummustern. Und genau das bezweckt doch die Inszenierung?

Das ist richtig. Ich denke, da hat sich das Konsumdenken eben knallhart durchgesetzt. Die Bindungskraft der Ideologien, aber auch der Religionen hat an Bedeutung verloren. Die Waren werden zu neuen Fetischen. Zugleich entstehen neue Privilegien und Zugangsbeschränkungen wie VIP und Member Lounges oder der Paddock-Club beim Formel-1- Grand-Prix. Privilegien sind schick und allgemein akzeptiert. Sie schaffen neue Begehrlichkeiten.

Also Abschied von der Idee der Demokratisierung des Reisens, Abschied von kritischen Ansätzen?

Die Alternativen müssen jetzt innerhalb dieses Systems entstehen. Sie können allenfalls aus einem Überdruß kommen. Eine grundsätzliche Kritik am Freizeitbereich ist sicherlich, daß die Menschen letztendlich zu Passivität gebracht werden. Daß sie sehr stark gelenkt werden. Das ist ja alles total durchdacht, wo man einkauft, wo man das und das macht. Da stellt sich dann die Frage, inwieweit individuelle Standhaftigkeit besteht. Interview: Edith Kresta