Von wegen Wedelwedeln und Gebrüll

■ Bei den deutschen Cheerleading-Meisterschaften in der Stadthalle holten die Braveheart-Bremerinnen Bronze

Es ist unmöglich, einen Cheerleader zu interviewen. Cheerleader kennen auch außerhalb des Dienstes nur eine Art der Fortbewegung: Rennen, am liebsten in kleinen Grüppchen. Am Samstag rannten solche Grüppchen aufgeregt durch die Gänge der Bremer Stadthalle, denn dort fanden die achten deutschen Cheerleading-Meisterschaften statt.

Angst mußte man dennoch nicht haben, von einer Bande uniformierter Football-Animateurinnen überrannt zu werden. Durch das Rascheln der Pompons, im deutschen Fachjargon darf man auch Puschel oder Wedel sagen, waren sie rechtzeitig zu hören. Rannten die Mädchen einmal nicht, verlangte etwas anderes ihre ganze Aufmerksamkeit; beispielsweise ihre Haare oder der Erwerb von Süßwaren. Süßwaren wurden sogar großzügig Mitgliedern gegnerischer Teams angeboten. Eine kollegiale Geste, oder ein niederträchtiger Versuch, die Figur der Rivalin noch in letzter Sekunde zu ruinieren?

Das Cheerleading wurde vor über hundert Jahren in Minnesota erfunden und war zunächst Männersache. „Die folgenden Herren (...) haben dafür zu sorgen, daß heute jeder das Stadion atemlos und ohne Stimme verläßt“, lautet die Weisung in einer Universitätszeitung von 1898. Inzwischen ist das organisierte Anfeuern zum Anfeuern fast vollständig in weiblicher Hand und eine eigenständige sportliche Disziplin mit eigenem Fan-Kult. Fraglich, ob die Stadthalle bei einem Footballspiel ähnlich gut besetzt gewesen wäre wie beim fröhlichen Wettjubeln. Neben Cheerleader-Kalendern und -Videos konnten T-Shirts gekauft werden mit Aufschriften wie „When cheerleaders yell, people listen!“oder „Cheerleader Mom“. Leider kein Spruch für die Herren a la „Cheerleader Dad“oder – besser noch – „Cheerleader Boyfriend“.

All dies mochte man belächeln, aber sah man die Teams mit klanghaften Namen wie „Fischbach Flames“oder „Cottbus Crabettes“erstmal in Aktion, begriff man schnell, daß hier tatsächlich Knochenarbeit geleistet wurde. Nur mit etwas Wedelwedeln und ein bißchen Gebrüll wird man nicht deutscher Meister. Da mußten die Cheers und Chants perfekt mit den Motions harmonieren, und bei den Stunts, Jumps und Pyramiden hatten die Spotter alle Hände voll zu tun. Worauf es aber wirklich ankam, war der Spirit. Spirit kommt von innen und ist für die perfekte Ausstrahlung eines Cheerleaders verantwortlich. So erklärte es das Programmheft, in dem der Laie alle Fachbegriffe nachschlagen konnte. Man erfuhr, daß Spotter die kräftigen Herren und Damen im Hintergrund sind, die aufpassen, daß sich die Mädchen nicht wehtun. Man lernte den Unterschied zwischen Cheers (einmalige Anfeuerungsrufe von vier bis 20 Zeilen Länge) und Chants (dreimal wiederholte kurze Anfeuerungsrufe), und daß Teams eigentlich Squads heißen.

Manchmal kommt selbst der beste Spotter zu spät. Ein Mädchen der Stuttgarter „Great Orange Fire“stürzte so unglücklich, daß es ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Ihr Team war vom Pech verfolgt: Wegen einer Sound-Panne konnte es nicht sein komplettes Programm vorführen, und wegen des Personalausfalls konnte der Auftritt nicht nach Behebung der Panne wiederholt werden. Das Squad, das 1994 als „Most Spirit Team“bei den baden-württembergischen Meisterschaften glänzte, mußte sich mit dem zehnten Platz zufriedengeben.

Für ihre Entscheidungen nahm sich die Jury viel Zeit. Die Bekanntgabe der Gewinner verzögerte sich um mehr als eine Stunde. Der guten Stimmung tat das keinen Abbruch. Zu den Party-Platten von DJ Lars tanzten die Cheerleaders teamübergreifend miteinander, schmissen einander in die Luft, zogen polonäsenartig durch die Halle und schufen eine allgemein wuselige Atmosphäre, die dem mitfeierndem Publikum gut gefiel. Da wäre der Kurzauftritt der schlimmen Bremer Boygroup „First Love“gar nicht nötig gewesen.

Bei Publikum und Akteuren hatte man die Umkehrung der Football-Konstellation: Hier waren die Mädchen auf dem Spielfeld, und die Spieler-Boys feuerten sie von den Rängen aus an und hattenTransparente gemalt: „Braveheart Cheerleaders – Just believe in yourself!“Es hat den Bremerinnen von den „Bravehearts“offensichtlich geholfen: Sie holten zum zweiten Mal Bronze. Meister und Vizemeister wurden die Wolfsburger „Blue Birds“und die Cheerleader der Hamburger „Ducks“.

Zum Schluß konnte sogar die verletzte Stuttgarterin wieder mitfeiern: Frisch bandagiert raste sie per Rollstuhl mit cheerleadertypischer Geschwindigkeit durchs Stadthallenfoyer und grüßte Kolleginnen anderer Squads, die in entgegengesetzter Richtung an ihr vorbeirasten: „Ihr wart super!“

Andreas Neuenkirchen

Fotos: Nikolai Wolff