US-Tabakindustrie muß Geheimpapiere rausrücken

■ Kläger in Minnesota sprechen von größtem Erfolg im Kampf gegen die Zigarettenkonzerne

Berlin (taz) – Neue Gerichts- Schlappe für die US-Tabakindustrie: Sie muß 39.000 Seiten an sensiblen internen Dokumenten an den gegen sie klagenden Staat Minnesota herausrücken, weil sie die Irreführung der Bevölkerung dokumentierten. Das entschied der verhandelnde Richter in Ramsey County, Minnesota. Der Generalstaatsanwalt Humphrey H. Humphrey III beurteilte die Anweisung als „die überragendste Gesundheitsentscheidung in der US-Geschichte“. Die Dokumente enthielten die „dunkelsten Geheimnisse der Tabakindustrie“.

Bisher hatten die Tabakfirmen die Herausgabe verweigert, weil es sich um vertrauliche Unterlagen für die Verteidigung gehandelt habe, die damit unter das Zeugnisverweigerungsrecht der Anwälte fallen. Richter Kenneth Fitzpatrick sprach von „offenkundigem Mißbrauch“ dieses Rechts. So sei etwa eine Marketing-Studie unter den Geheimunterlagen. Besonders pikant: Die Studie beschäftigte sich mit dem Rauchverhalten von Jungendlichen und Kindern ab fünf. Ergebnis: „Junge Raucher glauben, daß sie nicht süchtig werden können, bis sie merken, daß sie es inzwischen sind.“

In dem Prozeß klagen der Bundesstaat Minnesota und zwei Krankenversicherungen auf 1,77 Millionen US-Dollar Schadenersatz für die Arztrechnungen kranker Raucher. Insgesamt klagten 41 Bundesstaaten gegen die Tabakindustrie. Drei Prozesse sind beigelegt: in Texas, Florida und Mississippi gegen Zahlung von zusammen rund 30 Milliarden US-Dollar. Die restlichen Prozesse endeten vergangenen Sommer in einem nationalen Schlichtungsergebnis. Darin bietet die Industrie 368 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von 25 Jahren. Als Gegenleistung verlangt sie Schutz vor weiteren Prozessen. Der Präsident und der Kongreß müssen dem zustimmen. Die Entscheidung über ein solches Gesetz wird nicht vor Ostern erwartet. Clinton hat bereits schärfere Auflagen gefordert. Vor allem der Schutz vor weiteren Klagen ist umstritten.

Um die Schlichtung durchzusetzen, hat die Industrie 1997 soviel Geld an Politiker gespendet wie nie zuvor in einem Nichtwahljahr: 4,5 Millionen Dollar. Die neuen Papiere werden ihre Lage kaum bessern. Allein in Hollywoods Kino-Knüllern feiert Tabak Erfolge: Dort brennt alle vier Minuten eine Zigarette, zählten Forscher – mehr als je zuvor. M. Urbach