Der Platz der beiden deutschen Revolutionen

■ Orte der Revolution (Folge 6): Am Alexanderplatz standen die Revolutionäre von 1848 auf der größten Barrikade Berlins. Ihre Nachfahren demonstrierten 1989 an der gleichen Stelle für die Freiheit

Manchmal ist es gar nicht so einfach, die Orte zu finden, an denen sich die entscheidenden Ereignisse der Berliner März-Revolution abgespielt haben. Nicht nur 150 Jahre Bautätigkeit, sondern vor allem der Zweite Weltkrieg und die folgenden Aufräumarbeiten haben an vielen Stellen die Spuren verwischt. Dies gilt besonders für den Alexanderplatz, der in den sechziger Jahren sein heutiges Gesicht bekam. Ganze Straßenzüge wurden verlegt. Ungefähr dort, wo die Verlängerung der heutigen Rathausstraße auf den Alexanderplatz stößt, stand am 18. März 1848 die größte Barrikade der Stadt. Es war die einzige, die das Militär nicht einnehmen konnte. Zusammen mit der benachbarten Barrikade in der Landsberger Allee kontrollierten die Barrikadenkämpfer den Alexanderplatz. Sie wollten verhindern, daß das Frankfurter Regiment in die Innenstadt durchbrechen könnte. Wie an anderen Stellen der Stadt türmten die Barrikadenkämpfer Eisenplatten, Pflastersteine und umgeworfene Wagen aufeinander. Die Zwischenräume füllten sie mit Sand und Erde. Die Barrikade hatte sogar einen Wachturm, der aus Schanzkörben zusammengebastelt war. An dessen Spitze wehte eine Fahne.

Gegen Abend hatten sich die königlichen Truppen durch die zahlreichen Barrikaden der Königstraße (heute Rathausstraße) durchgekämpft und griffen aus ihrer Deckung, die aus Mehlsäcken bestand, die bürgerliche Barrikade an. Gegen Mitternacht war der Kampf am härtesten. Die königlichen Truppen schafften es nicht, die Barrikade zu erobern. Nach Verhandlungen zwischen Generalmajor Möllendorff und dem Tierarzt Friedrich Ludwig, der die Verteidigung der Barrikade leitete, zog sich das Militär in den Morgenstunden des 19. März zurück.

Adolf Streckfuß berichtete: „Bis zum Alexanderplatz drang das Militär siegreich vor, dort aber fand es einen Widerstand, den es nicht überwand. Eine gewaltige Barrikade war in der Neuen Königstraße erbaut, sie war fester als irgendeine andere. Ein paar umgeworfene Wagen hatten auch hier den Anfang zum Bau gemacht, da aber die Barrikade selbst schwerem Geschütz widerstehen sollte und Zeit genug zum Bau gewesen war, hatten die Bürger sie mit allen nur zur Gebote stehenden Mitteln befestigt. Die Granitplatten des Trottoirs und Eisenplatten aus einer nahe gelegenen Eisenhandlung waren verwendet worden, um einen festen Schutz gegen die Geschützkugeln zu gewähren; man hatte Schanzkörbe herbeigeschleppt und mit Sand alle Zwischenräume ausgefüllt. Eine dreifarbige schwarz-rot-goldene Fahne wehte auf ihr. Aus dem nahen Schützenhause hatte man zwei Messing-Böller herbeigeschleppt. Ein paar Bürger, die früher Artilleristen gewesen waren, zeigten sich bereit, sie zu bedienen. Kugeln hatten die Bürger-Artilleristen freilich nicht, aber sie wußten sich zu helfen, aus den naheliegenden Läden wurden jene kleinen Steinkugeln, deren sich die Knaben in Berlin zum Spielen bedienen und die sie Murmeln nennen, herbeigeholt. In einen alten Strumpf gesteckt, bildeten sie eine Kartätschenladung. Zwei Waschkörbe voll Murmeln standen hinter der Barrikade bereit.“

Ungefähr an der Stelle, an der sich die Alexanderplatz-Barrikade befunden hat, stand am 4. November 1989 die Tribüne für die Großdemonstration, mit der die DDR- Bevölkerung demokratische Freiheitsrechte und das Ende der SED-Einparteienherrschaft eingefordert hat.

Kaum jemand ist an diesem Tag auf die Idee gekommen, daß an dieser Stelle am 18. März 1848 die BerlinerInnen für Meinungsfreiheit, soziale Rechte und ein einiges Deutschland auf den Barrikaden kämpften. Jürgen Karwelat