Kindliche Kunst

■ betr.: „Noch ein Zivilisations bruch“ von Michael Rutschky, taz vom 28.2. 98

Neineinein. So geht das nicht. Kaum hat Guildo Horn seinen grandiosen Wahlsieg errungen, mäkeln die wichtigen deutschen Zeitungen daran herum. [...] In seltsamer Übereinstimmung mit Rutschky rügt auch Siegel die unzulässige Grenzüberschreitung Guildos: Der solle gefälligst auf der Blödelbühne bleiben, anstatt das edle Genre de la Chanson mit seinem Geschwitze und Geschwabbel zu schänden.

Um Himmels willen. Es war nicht Guildos Kampagne, die das deutsche Volk nach 1990 ein zweites Mal einte, sondern seine kindliche Kunst, es waren nicht die Nemesis, sondern die Nußecken! Und die Ununterscheidbarkeit ist eben gerade nicht die Verwischung der Klassengegensätze, sondern ihre Synthese. Im seligen Guildo-Fan sind der Moiksche Schunkler und der Goldtsche Chaosfreak eben nicht miteinander vermanscht, sondern dialektisch aufgehoben, will sagen: aufbewahrt und aufgelöst zugleich (vgl. Frankfurter Schule).

Von Guildo lernen heißt siegen lernen. Dazu brauchen der kommerzielle Schlagerschleimer und der politische Schaumkronenkönig keineswegs ihr Outfit zu ändern. Siegel wie Schröder müssen nur die Frechheit haben, ins Lager „der anderen“ einzudringen. Siegel mit seiner grantigen Humorlosigkeit könnte einen Grand Prix de la Comedy mühelos gewinnen, Schröder einen Wettbewerb der Automobilmanager. Neue Mehrheiten sind möglich.

Guildo wird uns jedenfalls in Birmingham mit Würde vertreten. Würde? Ja freilich. Würde er nicht für Deutschland singen, würden wir wieder nicht mal von Österreich einen Punkt kriegen: „Germany: No points.“ Ali Schmidt, MdB,

lebensfreudepolitischer Spre-

cher der Fraktion B'90/Grüne