Kochschinken & Orchesterdonnern

■ Der Big-Band-Jazz des Tim Isfort Orchesters und eine Nummernrevue von Udo Lindenberg

Zum Ende des Jahrhunderts orchestert es noch mal gewaltig. Ob Tindersticks oder Walkabouts, Portishead oder Björk, alle schmiegen sich plötzlich wieder an warme Klangkörper und lassen sich von Streichern verwöhnen. Selbst jemand wie Goldie schrieb seiner Mutter neulich eine kleine Sinfonie. Eingespielt von einem 30köpfigen Orchester.

Doch während anderswo Traditionalisten wie Modernisten Erhabenheit im tiefen Orchestergraben suchen, endet die Rückbesinnung hierzulande oft in einer unverbrämten (Vor-)Kriegsnostalgie a la „Max Raabe & das Palastorchester“. Einhergehend mit einer merkwürdigen Geschichtsklitterung in Sachen Pop. Ganz Gewitzte kürten jetzt den hundertjährigen B.B. posthum zum ersten Popstar, und das deutsche Feuilleton erkannte in den Comedian Harmonists stolz die erste Boygroup. Da darf Udo Lindenberg, der erste deutsche Rocker, natürlich nicht fehlen. Der tingelt mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg durch die Lande und gibt sich gönnerhaft. Marlene Dietrich? „Die größte deutsche Künstlerin dieses Jahrhunderts.“Hans Albers? „Der erste deutsche Rapper.“Sapperlot!

Auch sonst ziert sich Lindenberg kaum. „Belcanto“(sic!) lautet seit letztem Jahr das Motto des 51jährigen. Dafür mußte natürlich das amtlich rockende Panikorchester einem richtigen Orchester weichen. Im Ergebnis ist das freilich wurscht. „Belcanto“gibt sich als wohlfeile Nummernrevue mit viel Hommage an alte Tage und Namen. Gesungen mit einer Stimme, die, so wollen uns die Linernotes weismachen, „Fenster öffnet zu unendlichen Landschaften und Portale aufreißt zu ultimativen Gefühlen“. Im Geiste mit dabei: der Bertolt und die Dietrich, der Rapper-Hans und natürlich uns Udo selbst. Der einstige Provo-Rocker mimt dazu den Zampano des Wohlklangs: nachdenklich auf dem Kanapee oder wild entschlossen im Kampf mit dem rotsamtenen Bühnenvorhang. Ein Phantom der Rockoper.

Seit Ewigkeiten giert Lindenberg nun schon nach bildungsbürgerlicher Anerkennung. Früh sang er Sachen wie „Du spieltest Cello... und ich fand dich so erregend“. Seitdem schwänzelt er um das Erbe tönender Namen und übt sich nölend in Nationalikonographie. Das scheint aufzugehen. Erst kürzlich lud man ihn zum offiziellen Brecht-Gedenken in die Hauptstadt. Doch Lindi, der gerade in „Guildo Horn“seinen Wiedergänger erleben muß, möchte höher hinaus. In zehn Jahren, ließ er verlautbaren, könne er sich vorstellen, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Na dann. Zuvor kommt er zum Stimmenfang ins CCH.

Ein paar Häuser weiter, im Curio-Haus, erfüllt sich zur selben Zeit Tim Isfort seinen Jazzorchester-Traum. Nein, hier ist kein deutscher George Gershwin am Werk. Eher ein dreißigjähriger Toningenieur aus dem Jazz-Städtchen Moers. Im Gegensatz zu Lindenberg weiß der, was er tut. Letztes Jahr erschien ein Album mit Eigenkompositionen, die live mit Orchester eingespielt wurden. Hybris allein reicht dazu nicht. Isfort ist ein begnadeter Arrangeur, der zudem um ein gutes Zitat nie verlegen ist. Das Ergebnis aus Big-Band-Jazz und NDR-Tanzorchester, Paulchen Kuhn und Hilde Knef spielt mit seinem eigenen Anachronismus, Kindheitserinnerungen spiegeln sich in einer kollektiven BRD-Nostalgie. Musik der „Kochschinkenjahre“, wie Tom Liwa richtig bemerkte. Der Duisburger Liedermacher schrieb für Isfort einige der Texte, die nun endlich auch live interpretiert werden können. Neben Liwa von Blixa Bargeld, Katharina Thalbach und Christian Brückner, der Synchronstimme Robert De Niros. Schon aus finanziellen Gründen ein wahrhaft einmaliges Unternehmen. Und Lindenberg? Besäße der Anstand, er müßte für Samstag sein eigenes Konzert absagen.

Michael Hess

Tim Isfort Orchester: Sa, 14. März, 21 Uhr, Curio-Haus

Udo Lindenberg und das Filmorchester Babelsberg: Sa, 14. März, 20 Uhr, CCH