"Wir müssen eben alle Geduld haben"

■ Der Gouverneur von Mexikos Bundesstaat Chiapas, Roberto Albores Guillen, über sein neues "Friedensabkommen", warum man in Chiapas nicht von einem Krieg sprechen könne, und warum die Regierung im Konflik

Vor seinem Amtsantritt als Gouverneur von Chiapas am 7. Januar hat der gelernte Ökonom Roberto Albores Guillén, 55, über dreißig Jahre lang in Mexiko-Stadt gelebt. Zuletzt war er für die Regierungspartei PRI Bundesabgeordneter für den chiapanekischen Wahlbezirk Chiapa de Corzo. Außerdem war er als Mitglied der parlamentarischen und parteiübergreifenden Vermittlungskommission Cocopa an den Verhandlungen mit den Zapatisten über die Autonomierechte der Indigenas beteiligt. Jenes „Abkommen von San Andrés“ hat die Regierung bis heute nicht ratifiziert. Sein Vorgänger César Ruiz Ferro mußte nach dem Massaker von Acteal zurücktreten.

taz: Sie sind der fünfte Gouverneur seit dem Ausbruch des sogenannten Chiapas-Konflikts. Auch Sie sind nicht gewählt, sondern eingesetzt worden – was unterscheidet Sie von Ihren Vorgängern?

Albores: Ich habe eine andere politische Geschichte. Nach der Explosion von 1994 habe ich einen Brief an meine Partei, die PRI, aufgesetzt und darin gesagt, daß es jetzt an der Zeit ist, endlich die Strukturen der Ausbeutung und des sozialen Rückstands in Chiapas anzugehen und ein gemeinsames Programm zu erarbeiten.

Wie soll das denn ohne die entsprechende Legitimierung funktionieren?

Die Legitimität wird einem vom Gesetz und der Verfassung übertragen – und meine Ernennung war absolut verfassungsgemäß. Ich bin mir bewußt, daß ich nicht über demokratische Wahlen, sondern nach den landesüblichen Gebräuche hierhergekommen bin – aber ich bin nun einmal da.

Ihr Abkommen, das Sie als eine Art Marshallplan für Chiapas deklariert haben, erinnert an einen Nachkriegsplan. Noch aber gibt es einen latenten Krieg in Chiapas...

Ist das denn wirklich Krieg?

Wie würden Sie es nennen?

Es gibt dissidente Gruppen, die sich aus legitimen Gründen in Waffen erhoben haben.

Ganz wie Sie meinen. Und was heißt das für Sie?

Es geht darum, das soziale Netz in Chiapas wiederaufzubauen. Und das ist nicht erst seit 1994 zerstört, sondern schon seit Kolonialzeiten. Mein Plan ist nicht gegen irgendwen; er soll für alle sein. Wir werden Arbeitsplätze schaffen, wir werden die sogenannten sozialen Kämpfer aus den Gefängnissen holen, wir werden saubere Wahlen abhalten. Und von heute an werden die Chiapaneken selber über ihre Zukunft bestimmen.

Die staatliche Kampagne gegen ausländische Menschenrechtler in den letzten Wochen hat den Eindruck erweckt, in Mexiko seien Ausländer nicht willkommen, die sich für die soziale und politische Lage im Lande interessieren.

Das Ganze ist eine Angelegenheit, die leider noch nicht ganz glücklich gelöst ist und wo alle Seiten sehr nervös reagieren. Natürlich sind die Ereignisse in Chiapas ein enorm wichtiger Zündstoff für alle Welt gewesen, und wir können unseren Besuchern kaum sagen, daß sie im Hotel bleiben oder sich nur die Ruinen angucken sollen. Uns geht es lediglich um die Ausländer, die die mexikanischen Gesetze verletzen.

Mit diesem Argument ist gerade ein französischer Priester ausgewiesen worden, der seit über 30 Jahren in der Gemeinde Chenalhó gearbeitet hat. Glauben Sie, daß das für die „Versöhnung“ ein günstiger Zeitpunkt war?

Sicher nicht. Aber so etwas sucht man sich ja nicht aus, das ergibt sich gemäß der Umstände.

Alles scheint heute von den Abkommen von San Andrés abzuhängen, die im Februar 1996 unterzeichnet und von der Cocopa zu einer Gesetzesinitiative umgearbeitet wurden – deren Umsetzung bis heute am Widerstand der Regierung scheitert. Teilen Sie allen Ernstes die Befürchtung des Innenministers Labastida, daß die darin enthaltenen Autonomie- Rechte zur „Balkanisierung“ führen und die nationale Einheit der Republik gefährden?

Natürlich teile ich heute die Position von Labastida. Das Innenministerium hat seine Einwände gegen die Cocopa-Initiative ja von ursprünglich 27 auf vier reduziert, es gibt also eine ganz neue Haltung der Regierung in dieser Frage.

Tatsächlich? Schließlich fassen diese vier „Anmerkungen“ nur die grundsätzlichen Einwände der Regierung zusammen.

Doch, doch, die Regierung will den Frieden. Sie will die EZLN- Guerilla davon überzeugen, daß sie zu Verhandlungen bereit ist. Aber sie sucht natürlich auch gewisse Signale der Flexibilität. Und die Haltung der EZLN ist einfach: kein einziges Komma an der Cocopa-Initiative soll verändert werden. Dabei sollten die Abkommen gar nicht neu verhandelt, sondern nur von Rechtsexperten durchgesehen werden. Ich weiß schon, daß es ein schwieriger Konflikt ist, und ich bin auch nicht naiv – aber eben doch optimistisch. Wir müssen eben alle Geduld haben.

Es wird also kein Ultimatum von Regierungsseite geben?

Es gibt kein Ultimatum und auch keine Gefahr, daß die Regierung einseitig irgendwelche drastischen Maßnahmen ergreift.

Sie haben bei der Präsentation Ihres Friedensabkommens angekündigt, daß Sie ab jetzt die autonomen Gemeinden der Zapatisten nicht mehr tolererieren werden – muß das nicht als eine Art Kriegserklärung verstanden werden?

Ich wäre gar nicht darauf gekommen, daß das so verstanden werden könnte. Es geht mir einfach darum, die Positionen zu flexibilisieren. Ich war doch selbst schon in Polhó (der Sitz des autonomen Gemeinderates von Chenalhó, wo derzeit mehrere tausend Flüchtlinge versammelt sind, A. H.), da haben wir doch auch die Maskierten begrüßt. Sie können mir glauben, daß ich nicht auf eine militärische Lösung, sondern auf die Vernunft setze. Interview: Anne Huffschmid