Hanfsamen in unzählbaren Mengen

■ Nach dem Hanfsamenverbot purzeln die Preise. Grow- und Headshops steigen jetzt ins Vogelfuttergeschäft ein

Der Verkauf von Hanfsamen „in zählbarer Menge“ ist seit dem 1.Februar durch eine Novellierung des Anhangs des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) verboten. Das US-kontrollierte UN International Drug Control Programme aus Wien geißelt in seinem jüngsten Bericht die „Verharmlosung“ des Kiffens durch die erstarkende Hanfwirtschaft, weil durch die Hanfblattwerbung für Jacken, Hosen und Kosmetik der Eindruck erweckt werde, daß ein Joint am Morgen so ungefährlich sei „wie das tägliche Glas Orangensaft“. Und schließlich muß die Weltgesundheitsorganisation WHO zugeben, daß sie in ihrem akutellen Drogenbericht mutwillig die 97er Studie der Universität Amsterdam zum Vergleich Alkohol–Cannabis unterschlagen hat. Die Amsterdamer Gutachter haben wissenschaftlich fixiert, daß sich Alkoholiker Leber und Nervenzellen unwiederbringlich zerschießen, während Kiffer erst nach “jahrelangem“ und “intensivstem“ Marihuanakonsum Einschränkungen ihres logischen Denkvermögens zu beklagen hätten – bei gesunder Leber und immer noch recht fitten Nervenzellen.

Das Bonner Hanfsamenverbot ist nur die Spitze des Eisberges der Paradoxien: Ende vergangenen Jahres nickten auch die rot-grün geführten Bundesländer den Verhandlungskompromiß mit den süddeutschen Ländern ab. Damit hatten sich die Sozialarbeiter der SPD gegen die grünen Vertreter einer arbeitsplatzschaffenden Hanfwirtschaft durchgesetzt. Die Sozialdemokraten opferten ohne ökonomischen Sachverstand rund zwanzig Prozent Umsatzleistung der 400 Grow- und Headshops im Land: der Hanfsamen auf dem Altar der Münchener Hopfengurus. Die Bayern sagten im Gegenzug ja zur Legalisierung der Methadonprogramme. Dabei handelte es sich um die Bereinigung des Paradoxons, daß suchtkranke Menschen im ganzen Land bereits Methadon erhalten – dies aber nicht durch das BtmG abgedeckt war.

Das Hanfsamenverbot beschränkt sich auf Cannabis-Sativa- Keime „in zählbarer Menge“, weil die Zoologen und Landwirte in der CSU ihren Piepmätzen die Schweinshaxe nicht nehmen konnten: Der Hanfsamen ist mit seinen essentiellen Fettsäuren das kulinarische Goldstück im Vogelfuttersack. Die Berliner Hanfhaus GmbH, Marktführer im Bereich der Hanfwaren, hat diesen Umstand jetzt aufgegriffen, um ihren 16 Franchise-Unternehmen ein Ersatzprodukt zur Kompensation des Umsatzverlustes nach dem Hanfsamenverbot ins Warenregal zu stellen. Unter dem Namen „Hänfling spezial“ verkauft die Berliner Firma Vogelhanfsamen in der 10-Gramm-Packung zu 25 Mark bei „rund 400 Füttereinheiten“, wie es auf der Packung heißt. Das Unternehmen habe den spatzenähnlichen Hänfling (Caduelis Cannabina) auf das Etikett genommen, um nicht aus der Konsumenten-Nische „Hanf“ auszubrechen, sagt Geschäftsführer Mathias Bröckers.

Die Schweizer Freilandhanfsamen eigneten sich allerdings auch für andere bunte Vögel. In der Alpenrepublik gilt erst seit 1.März die EU-Norm des THC-armen Euro-Hanfs: Von den Großhändlern werden noch Medizinalhanfsamen in unzählbaren Mengen aus der Ernte 1997 angeboten. Um sich auf den Vogelfuttermarkt vorzubereiten, haben sich mittlerweile mehrere Grow- und Headshops im Ruhrgebiet, in Bremen und in Berlin zu Einkaufsgemeinschaften zusammengeschlossen. Die Hanfsamen werden dabei alternativ in der Schweiz oder in den Niederlanden in Massen geordert. Noch im Januar sorgte das nahende Hanfsamenverbot bei den Einzelhändlern für einen Boom: Teilweise wurden die Samenumsätze verzehnfacht. „Ein Riesengeschäft“, sagt ein Headshop-Betreiber in Berlin. Die Hanfsamenläden im Internet vertreiben unterdessen weiterhin auch die „herkömmlichen“ Hanfsamen, die bisweilen illegal unter der heimischen Lampe angebaut wurden und werden: Die Verkäufer der Edelmarke Dutch Passion genauso wie die Händler der Firma Grassgrün bitten darum, die nationalen Gesetze zu beachten, verprellen allerdings auch nach dem 1. Februar ihre deutsche Singvögelkundschaft nicht und bieten – bei ausdrücklichem Wunsch und Vorkasse – auch Großverpackungen an. Einziger Haken beim Vertrieb der niederländischen Edelsamen: Die Internet-Shops schicken ihre Päckchen nur an eine Auslandsadresse. Hanfsamen überall: Selten wurde der Markt so überschwemmt. Die Preise purzeln, die VerbraucherInnen können sich freuen.

Der Feldzug der internationalen Drogenkrieger sei ein „Schuß, der nach hinten losgeht“, sagt Hanfhaus-Gründer Mathias Bröckers. Zahlreiche Kunden hätten bereits nach dem Berliner Hänfling-Futter gefragt. Und sollte eine Staatsanwaltschaft daran etwas Gesetzwidriges finden und ein weiteres Mal in das Warenregal greifen, so „werden wir diesen Prozeß gerne führen“. Frank Hofmann