Israels Armee erschießt aus Versehen

■ Drei Palästinenser sterben bei Straßenkontrolle im Westjordanland. Regierungschef Netanjahu entschuldigt sich bei Palästinenserpräsident Arafat. Jugendliche in Hebron liefern sich Straßenschlachten mit israelischen Soldaten

Jerusalem (taz) – In Hebron und den umliegenden Dörfern lieferten sich palästinensische Jugendliche gestern schwere Straßenschlachten mit der israelischen Armee. Die Palästinenser warfen Steine und Brandsätze auf die Soldaten, die mit Tränengas und mit Gummi umhüllten Stahlkugeln zurückschossen. Dutzende von Jugendlichen wurden verletzt. Bei Ramallah schoß ein jüdischer Siedler einem Demonstranten ins Bein, weil sein Auto mit Steinen beworfen wurde. Anlaß der Proteste war die Erschießung von drei palästinensischen Arbeitern am Dienstag abend an einer israelischen Straßensperre bei Hebron. 10.000 Menschen nahmen gestern an ihrer Beerdigung teil. Unter den Toten ist auch ein Verwandter von Dschibril Radschub, dem palästinensischen Geheimdienstchef im Westjordanland.

Die israelische Armee räumte gestern ein, die drei Palästinenser irrtümlich erschossen zu haben. Der zuständige Kommandeur erklärte, die Opfer hätten nicht vorgehabt, einen Anschlag zu verüben. Zwei Soldaten, die das Feuer eröffneten, wurden von der Militärpolizei in Haft genommen. In ersten Erklärungen hatten dagegen sowohl Regierungssprecher Mosche Fogl als auch die Armeeführung erklärt, der Transitbus habe den Posten überfahren wollen. Dabei sei ein israelischer Soldat leicht verletzt worden.

Augenzeugen, wie der palästinensische Polizeioffizier Lafi Ghais, sagten gegenüber der Presse: „Der Transitbus wollte niemanden überfahren. Er näherte sich dem Kontrollpunkt völlig normal. Und plötzlich hörten wir Schüsse aus automatischen Waffen.“ Ein überlebender Insasse des Transitbusses erklärte, nach der Kontrolle des Wagens sei zur Weiterfahrt gewunken worden. Ein Soldat auf der anderen Seite der Straßensperre habe den Bus dann aber nochmals per Handzeichen gestoppt. „Als wir anhielten, eröffneten die Soldaten das Feuer“, sagte Ali Abu Sneid.

Palästinenserpräsident Jassir Arafat sagte gestern: „Dies ist ein großes Verbrechen an unseren Arbeitern.“ Ein ursprünglich geplantes Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schloß er vorerst aus. Netanjahu selbst sprach Arafat in einem Telefonat sein Bedauern über den Zwischenfall aus. Arafat möge den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl ausdrücken. Der palästinensische Chefunterhändler mit Israel, Saib Erekat, nannte die Tat „einen kaltblütigen Mord“. Er bezeichnete die Soldaten als „Terroristen in Uniform“ und forderte die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission.

Bereits am Dienstag abend kam es in Hebron zu schweren Unruhen. Drei Palästinenser wurden verletzt. Auch Schüsse auf einen Armeeposten am Rande der israelischen Siedlung in der Altstadt von Hebron wurden abgefeuert. Sowohl Israels Armee als auch die Grenzpolizei wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die größte PLO-Organisation al-Fatah rief gestern zu einem dreitägigen Geschäftsstreik im Bezirk Hebron auf. Der Tod der drei palästinensischen Arbeiter könnte angesichts der Frustration und Bewegungslosigkeit im israelisch-palästinensischen Verhandlungsprozeß der Auslöser für größere und dauernde Unruhen sein. Georg Baltissen Kommentar Seite 12