Scherf schüttelt braune Arbeiterhände

■ Henning Scherf, mit Roman Herzog unterwegs, besuchte auch das Mercedes-Werk von East London: „Lachen, Singen, Anfassen“Von Dirk Asendorpf aus Südafrika

Ganz oben auf dem Fließband steht Henning Scherf, winkt mit seinen überlangen Armen und schüttelt die braunen Hände der Mercedes-Arbeiter. Der ist aber nett, der deutsche Präsident, wird mancher von ihnen gedacht haben. Denn der echte Roman Herzog ist zwischen all der Lokalprominenz und den Pressefotografen völlig verschwunden. Sogar für seine Lieblingsbeschäftigung, das väterliche Armauflegen, findet Henning Scherf an diesem Morgen im süd-afrikanischen Mercedes-Werk die passenden Objekte. Ein halbes dutzend Bremer, darunter auch den Autor dieser Zeilen, hat er um sich versammelt und präsentiert sie stolz dem Präsidenten. „Also deswegen ist Bremen so klein“, erwidert Herzog schlagfertig,weil die Bremer alle anderswo leben.

Bei Lulamile Nazo, dem Bürgermeister von East London, hat Scherf mit seiner Bremen-Begeisterung dagegen weniger Erfolg. „Von welcher Stadt sind Sie der Bürgermeister?“fragt Nazo höflich und guckt verständnislos, als Scherf ihm den Namen dreimal wiederholt. „Auch wir haben ein großes Mercedes-Werk und einen Hafen, so wie Sie“, erklärt Scherf. Das erlösende Nicken bringt aber erst die Auskunft, daß Bremen geographisch mitten in Niedersachsen liegt. Das Bundesland mit dem schwierigen Namen ist Lulamile Nazo nämlich ein Begriff, denn seit 1995 ist es Partnerland der Eastern Cape Provinz, zu der seine Stadt East London gehört.

Wie Bremen liegt East London weitab der politischen und wirtschaftlichen Zentren des Landes. Nach Kapstadt wie nach Johannesburg sind es tausend Kilometer. Und wie in Bremen ist Mercedes auch in East London mit Abstand der größte Arbeitgeber. 3.500 Beschäftigte hat dort das Werk, Zulieferer und Familien mitgerechnet sollen rund 60.000 Menschen von ihm leben. 1.300 Mark verdient ein Arbeiter am Montageband bei Mercedes in East London, ungefähr ein Drittel von dem, was ein Kollege in Bremen für die gleiche Arbeit bekommt. „Das ist auch richtig so, denn es entspricht in etwa dem Unterschied in der Produktivität“, meint Nikolaus Witsch, ein Bremer Mercedes-Ingenieur, der in East London für die Qualitätssicherung der Exportproduktion zuständig ist.

Woher dieser Unterschied kommt, ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die blitzsauberen Produktionshallen sehen nicht anders aus als die in Bremen. Die Teile, die hier zusammenmontiert werden, stammen zu 85 Prozent aus Deutschland. Ein Arbeitsplatz bei Mercedes ist etwas, wovon Jugendliche in Mdantsane, dem riesigen schwarzen Township von East London, träumen; entsprechend wählerisch kann die Personalabteilung sein. Die Produktionshandbücher, das Computersimulationsprogramm und viele Beschriftungen sind allerdings auf Deutsch, für jede etwas kompliziertere Rückfrage muß ein Telefongespräch nach Stuttgart geführt werden. Geforscht, entwickelt und experimentiert wird hier nicht. In East London wird nur sauber zusammengebaut, was sich Ingenieure im fernen Deutschland ausgedacht haben.

Die Gegend ist Siedlerland; einige tausend deutsche Soldaten, die eigentlich in den Krimkrieg ziehen sollten, wurden hier Mitte des letzten Jahrhunderts von den Engländern als Puffer zwischen ihrer Kapkolonie und den noch nicht unterworfenen Xhosa-Königreichen benutzt. Ihnen folgten verarmte deutsche Bauern. Berlin, Braunschweig, Frankfurt, Hamburg, Potsdam heißen noch heute die Orte, die sie gründeten. Schnell fiel ihre Arbeitswut auf. „Ithurhu lamaJamani“– die Zeit der Deutschen – heißt heute in Xhosa der ganz frühe Morgen vor Sonnenaufgang.

Mercedes produziert schon seit Ende der 50er Jahre in Südafrika, auch während des Anti-Apartheid-Boykotts ging das Geschäft weiter. „Wir wollten lieber als Arbeitgeber hierbleiben und unsere Rolle bei der Veränderung spielen“, schönt Betriebsleiter Köpcke das Motiv gegenber Roman Herzog und seiner Delegation. „Ja, die Apartheid war grausam“, sagt Henning Scherf später im kleinen Kreis und kommt ins Schwärmen: „Heute sind die Menschen zukunftsoptimistisch. Sie wollen mit uns was machen, Nelson Mandela nennt das strategische Zusammenarbeit mit Deutschland.“Und dann drückt er wieder ein paar braune Mercedes-Arbeiterhände – und zwar so, wie es unter schwarzen Freunden üblich ist: erst die ganze Hand greifen, dann den Daumen, dann wieder die ganze Hand.