Oh Schreck, ein Hahn!

■ Juden zetteln Weltkriege an, behauptete ein Mann / Gestern stand er vor Gericht

Nach vier Stunden Verhandlung vor dem Bremer Amtsgericht sprach Richter Klaus Richter den 61jährigen Angeklagten gestern mittag der Volksverhetzung schuldig – da guckte selbst der Staatsanwalt erstaunt über das vorgelegte Tempo, und der Angeklagte legte umgehend Berufung ein. Dabei hatte er noch Schwein mit der Verwarnung durch den Richter und mit einer verordneten „Spende“von 900 Mark.

In Bremens Offenem Kanal hatte der Angeklagte Ende 1996 krude Theorien über eine jüdische Weltverschwörung verbreitet und „osteuropäische Juden“für den Ausbruch der zwei Weltkriege verantwortlich gemacht. Der „Beweis“: Postkarten mit der Abbildung von „jüdischen Opferhähnen“. „Orthodoxe Juden“hätten sie versandt, um erst den Zaren, später gleich das ganze „deutsche Volk“einer künftigen jüdischen Weltmacht zum Opfer zu bringen. Was nach Himmlerschen Wahnvorstellungen klingt, verlängerte der 61jährige Verleger in der Radiosendung bis ins Jahr 1996. Just nämlich stand der Einsatz deutscher Truppen in Jugoslawien zur Debatte, und, Schreck laß' nach: Schon wieder entdeckte der aufmerksame Historiker des Freimaurertums erneut „Kapores-Hähne“. Für den dilettierenden Bibelinterpreten ein glasklarer Beweis: „Deutschland und Europa sollen in den Dritten Weltkrieg reingezogen werden“.

Am gestrigen Prozeßtag beschrieb sich der einstige „Kapitän auf hoher See“als langjährigen Aktivisten im Friedenskampf und als Kämpfer für die historische Wahrheit. An der Seefahrtsschule Gründeich sei er rausgeschmissen worden, weil ich aktiv gegen die Cruise Missiles war“. Vor Gericht stehe er, weil man seine Aussagen im Radio mißverstanden habe, so der Angeklagte, der sich selbst verteidigte: Nicht die Juden, eine kleine zionistische Gruppe sei Ziel seiner Ausführungen gewesen. Das hatten die drei Hörerinnen, die sich bei der Landesmedienanstalt über die Sendung beklagt hatten, anders verstanden. Besonders empört hatte die 29jährige Studentin Katrin K. der Satz des Angeklagten, „die Gaskammer in Dachau sei von den Amerikanern gebaut worden“.

Gern hätte der großgewachsene Angeklagte sich dazu ausführlich geäußert. Mit großer Geste und rotem Kopf warf er Papierstapel von historischen Beweisen auf den Tisch des Richters. Dieser aber ließ, um den Gerichtsaal nicht in „ein historisches Seminar“zu verwandeln, die Leugnung der Dachau-Gaskammer lieber ganz unter den Tisch fallen und erkannte den einstigen Seefahrtslehrer nur wegen Hetze gegen das jüdische Volk für schuldig.

Das zehnköpfige greise Publikum fand auch diesen Vorwurf noch empörend und rief ein ums andere Mal: „Unerhört!“Auch die beiden Moderatoren im Offenen Kanal hatten ihren Gast damals ganz in dessen Sinne verstanden. Rolf Dodenhoff und Joe Conrad mit ihrer Sendereihe Hot Spot und Themen zu „UFO's“, „AIDS“, „Atomkraft“oder „Jesus und Engel“, fühlen sich vor allem den unterdrückten Wahrheiten verpflichtet und sehen diese zur Zeit eher in Bereichen, die man üblicherweise als rechts bezeichnet. Sie selber bezeichnen sich als unabhängig. Bei ihrer Feier in der nahegelegenen Kneipe konnte das der Angeklagte nur unterstreichen. Woher das Geld für seinen Verlag und breitangelegte Briefkampagnen kommt, wollte der 61jährige Sozialhilfeempfänger der taz jedoch nicht sagen. ritz