Wo Mauern geblieben sind

Serie: Orte der Revolution (Folge 9): Im einstigen Zellengefängnis Moabit saßen zuerst polnische Aufständische ein, die in den Märztagen 1848 ihre Freiheit zurückerhielten  ■ Von Jürgen Karwelat

Neben der Großbaustelle für den Lehrter Bahnhof an der Invalidenstraße in Moabit fällt eine merkwürdig deplazierte hohe Mauer aus rotem Backstein auf, vor der einige Kleingärtner ihre Tomaten ziehen. Innerhalb der Mauern lagert der Bezirk Tiergarten seit vielen Jahren Material zum Straßenbau. Die Mauer ist neben zwei Wohnhäusern der letzte Rest des sogenannten Zellengefängnisses, dem Vorzeigegefängnis des preußischen Staates, das hier bis 1958 gestanden hatte.

1842 war der Bau begonnen worden. Noch nicht offiziell eingeweiht, mußten hier 1847 schon die ersten politischen Gefangenen einziehen: 254 polnische Aufständische aus der Provinz Posen, die die Wiedererrichtung des polnischen Staates forderten. Vom 3. August bis zum 2. Dezember 1847 wurde im Gefängnis den Mitgliedern des „polnisch-demokratischen Vereins“ der Prozeß gemacht. Todesstrafen und mehrjährige Haftstrafen wurden verhängt.

Nachdem der König am 19. März eine allgemeine Amnestie verkündet hatte, wurden die polnischen Freiheitskämpfer am 20. März freigelassen. Es war ein Triumphzug durch die Berliner Innenstadt. Adolf Wolff, ein Chronist der Revolution berichtete: „Gegen 1 Uhr erschien der Staatsanwalt, Hr. Wentzel im Staatsgefängnisse und zeigte den polnischen Gefangenen in einer feierlichen Anrede die Befreiung an. Ein bereit gehaltener Wagen nahm hierauf die beiden bedeutendsten Gefangenen, Ludwig Mieroslawski, der zum Tode, und Dr. Libelt, der zu vieljähriger Festungsstrafe verurtheilt war, so wie die im Gefängnisse anwesenden Damen v. Malczewska und Matecka nebst ihren Kindern auf. Der Jubel der stark angeschwollenen Menge empfing die Befreiten.“

Und weiter: „Die Pferde wurden vom Wagen gespannt, und Menschenhände zogen denselben. Ihm folgten die sämtlich entlassenen Polen zu Fuß und mit entblößtem Haupte. Hr. v. Mieroslawski hielt eine deutsche Fahne; eine polnische Flagge, im Augenblicke der Befreiung von Damen im Gefängnisse gefertigt, wehete von dem Wagen, auf dem ganzen Wege, durch das neue Thor, die Loisenstraße, Friedrichstraße, Linden flatterten aus allen Fenstern Tücher und Fahnen, flogen Blumenkränze den Befreiten zu. Eine unermeßliche Volksmenge folgte dem Zuge.“ Am nächsten Tag war in der Stadt ein Plakat zu sehen, mit dem die Polen dem Volk von Berlin dankte. Adolf Streckfuß schilderte dies: „Am folgenden Tage sprachen die sämtlichen befreiten Polen ihren Dank in einem Plakat aus, welches den Titel ,Dankadresse der von Sr. Majestät dem Könige amnestierten Polen an das Berliner Volk‘ trug. Die Polen fühlten an jenem Tage, daß sie ihre eigene Freiheit nur dem frei gewordenen Volke verdankten, das aber haben viele von ihnen später in der polnischen Fraktion der preußischen Volksvertretung vergessen.“

Ludwig von Mieroslawski (1814–1878) war eine schillernde Persönlichkeit der Revolutionsereignisse zwischen 1830 und 1863. In Paris geboren, lebte Miroslawski von 1820 bis 1831 in Polen und war führende bei den polnischen Erhebungen 1830/31. 1845/46 war er Mitinitator eines geplanten gesamtpolnischen Aufstandes.

Nach seiner Freilassung aus dem Berliner Gefängnis ging er nach Posen zurück, wurde dort aber verhaftet und nach Frankreich ausgewiesen. Von März bis Mai 1849 war er Führer der aufständischen Soldaten auf Sizilien und im Juni 1849 Oberbefehlshaber der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee. 1863 wurde er während des polnischen Aufstands zum Diktator der polnischen Nationalregierung ernannt, mußte aber nach dem Zusammenbruch des Aufstands erneut nach Paris emigrieren.