Körpersprache gegen Muttersprache 1:0

■ „Parzival“: Der Choreograph Joachim Schlömer produzierte im Hebbel Theater erstmals ein Schauspiel. Von Bayreuth keine Spur, das Vertrauen in das gesprochene Wort aber fehlte

Parzival ganz ohne Bayreuther Anklänge. Wolfgang von Eschenbachs Epos von einem, der auszog, das Mitleid zu lernen. Am Ende kein Herrschaftsanspruch, sondern müde Frauensehnsucht. Jünglingsdämmerung. Die Namen: Schionatulander und Cundrie, Feirefiz und Herzeloyde, Jeschute und Trevrizent. Und der gute, liebe, schöne Junge Parzival – „durch das Tal“ heiße das, verrät dem zuvor Namenlosen die Cousine Sigune.

Sigune trägt den toten Geliebten Schionatulander, diese knittrige Mumie, wie ein zunehmend leichter werdendes Kind mit sich, Madonna und Pietà, treu ein Leben lang. Parzival, der Vaterlose, wird von der Mutter Herzeloyde liebend und isolierend erzogen, es nutzt nichts, der Junge will hinaus, als Ritter. Seine höfische Weltfremde hat Charme und nutzt Ignoranz zu Fortkommen.

Der Große Vorsitzende der Gralsgesellschaft, Anfortas, verhüllt in ein weißes Tuch, ist nur noch jammernde Stimme. Er leidet an diesem peinlichen Gebrechen: ein Pfeil durchschoß ihm die Hoden, er kann nicht sitzen, liegen, gehen, er kann nicht zeugen, sowieso.

Parzival müßte, soll seine Erziehung in der höfischen Gesellschaft erfolgreich sein, Mitleid mit diesem Manne empfinden, die Frage stellen: „Herr, wie steht es mit Eurer Not?“ Parzival fühlt und äußert nichts. Er geht weiter seine Runde, rückwärts, aber zielsicher, durch die höfischen Intrigen und Generationen. Erst in der Einsiedlerhöhle, schneekalt und dunkel – „Mir ging mein ganzes Glück verloren“ – wird er zu Mitleid fähig. Er fragt endlich sein: „Oheim, was wirret Ihr?“ – Was quält Euch so? Der Weg, nun selbst ein Großer Vorsitzender zu werden, ist frei. Aber der leise Nachsatz: „Ich will zu meiner Frau“ zeigt andere Interessen. Parzival braucht das Gralsreich nicht mehr.

Der Regisseur dieser gänzlich unironischen Koproduktion zwischen dem Maxim Gorki Theater und dem Spielort Hebbel Theater ist Joachim Schlömer, Tänzer und Choreograph, Folkwang-Schüler und Baseler Tanzdirektor. Schlömers Findekunst für Poesie und Spiel der Bewegung ist eindrucksvoll. Gruppenbilder wie Schattenrisse. Der neugeborene Parzival, der an seiner Mutter klebt wie eine blutige Schildkröte. Die Geliebte, die mit ihrer Schleppe einen Berg Steine beharrlich weiterzieht. Die Ritter als unterwürfige Hieronymus-Bosch-Masken. Kämpfe (und auch Vergewaltigungen) finden grundsätzlich in der Distanz statt, keine Blut-und-Hoden-Orgien. Faszinierend die statuarischen Installationen, langsam ziehende Bewegungen, eine Vogel-Tänzerin (Livia Patrizi mit blauem Dürer- Flügel). Die Grundfarben der wunderschönen Kostüme von Andrea Schmitt-Futterer: Rot für das Blut, Weiß für die Frauen und Schwarz für die kämpfenden Ritter. Dazu die zarte Sandfarbe als Brechung: Bühnenbild von Fank Leimbach, tanztheatererfahren durch Zusammenarbeit zunächst mit Susanne Linke, dann schon lange mit Schlömer.

Das Ganze undenkbar durch die prägende Ästhetik sehr unterschiedlicher Musik: Miriam Andersén singt a cappella mittelalterliche Lieder, wie somnambul durch die Szene schreitend oder aber auch als Teil des kichernden tanzenden Hofes. Michael Metzler virtuos auf unterschiedlichsten Percussion-Instrumenten, sirrend und klirrend, Tambourin und erstaunliche Saiteninstrumente, riesige hängende Schlagflächen, daß einem die Ohren abfliegen.

Ganz offensichtlich liegt die inszenatorische Stärke dieses Abends nicht in der schauspielerischen Führung. Körpersprache gegen Wörtersprache 1:0.

Während Hans Diehl als Trevrizent und Heinz Kloss als Gournemans durchaus einen eigenen intensiven Ton finden, schienen Gaby Pochert als Sigune, Regine Zimmermann als Jeschute weitgehend unbegleitet. Fast alle hatten mehrere Rollen zu bewältigen, mit unterschiedlichen Schicksalen und Pointen. Schwierig für ein junges Ensemble. Vielleicht erlaubte auch das Konzept der eher archetypischen Bilder keine deutlichere individuelle Gestaltung. Oft blieb die Sprache so zu leise im doppelten Sinne.

Dies gilt auch für Thomas Schmidt, den Parzival. Es gelang ihm gut die gewissermaßen naive, stolpernde, auf Hilfe angewiesene Phase des Jungen, der noch nichts weiß. Für die Gestaltung des Leids, das ja auch ihm widerfährt und Bedingung jeder Entwicklung ist, der Reife und Ernsthaftigkeit, hätte es einer Regie bedurft, die mehr auf das Wort vertraut. Sabine Zurmühl

14.3.–18.3. ab 20 Uhr im Hebbel Theater, Stresemannstr. 29