■ Jetzt schwingt er wieder
: Der Stadtgolfer

Gleich käme „Marienhof“, aber Frederik (24, Handicap 30) schaltet den Fernseher aus. Er schnappt sich ein 9er Eisen, drei kleine weiße Bälle und will raus auf den Marienfriedhof. Denn Fred ist Stadtgolfer.

Nichts kann ihn in der Wohnung halten, weil es ihn heiß macht, daß der Winter bald überstanden ist und die Dämmerung wieder erst gegen 18 Uhr einsetzt, und das brutto, das heißt vor der Umstellung auf Sommerzeit. Fred tritt vor die Tür. Sanft ist das Licht und hochdruckmild die Luft in der Happy hour. „Wie kann man diese Zäsur zwischen Tagesgeschäft und Abendunterhaltung besser gestalten als mit einer relaxten Runde Golf?“ grinst er unter seiner weißen Schirmmütze.

Fred wohnt direkt am Park. Der Marienfriedhof mit seinen renaturierten Grabstätten versprüht den morbiden Charme witterungszerfressener Gedenksteine und verwachsener Baumriesen. Die meisten Schönwetter-Frisbeewerfer sind längst zu Hause, der Kinderspielplatz ist verwaist, und das Arbeitsamt liegt still auf der anderen Seite des Parks. Nur noch die Sympathieträger des Viertels trinken Bier oder trainieren ihre Kampfhunde. Auf der zentralen Grünfläche blockieren keine „unnötigen Picknicks“ das Fairway, und ein perfektes Terrain bietet sich dem Stadtgolfer dar. „Zwar hat es nur die Länge einer Par-3- Bahn“, meint Fred, „doch dafür wird der Rasen von den kommunalen Greenkeepern optimal gepflegt.“ Die Löcher und das Putten vermißt er hier nicht, denn das habe mit dem Golfschwung eh nicht viel zu tun.

Fred wärmt sich mit ein paar Probeschwüngen und kurzen Pitch- und Chipschlägen auf. Dann gehen wir zum „Abschlag von Bahn 1“. Bahn 1 ist 150 Meter lang und verläuft diagonal durch den Park zu einem abgaspatinierten Obelisken hin, auf dem auch japanische Schriftzeichen zu erkennen sind. Fred konzentriert sich auf die geplante Flugbahn. Dann tritt er an den Ball und „spricht ihn an“. Freds Arme schwingen zurück, sein geschmeidiger Körper dreht sich wie eine Stahlfeder auf, entlädt alle Spannung im heruntersausenden Schlägerkopf, und der Ball ist in der Luft. Er startet rechts, dreht aber in Höhe der obersten Etage des Arbeitsamtes wieder „links rein“. „Yes!“ ruft Fred und macht ein zufriedenes Gesicht. „Das war die perfekte Flugkurve“, erläutert er, „ein sogenannter Draw!“

Auf Bahn 1 spielt er ein sichereres Par, und nun schreiten wir zum nächsten Abschlag. Freds Ziel ist der 120 Meter entfernte Grabstein vom „seligen Herrn Heinrich Wilhelm Ossenkop, 1740–1824“. Leider verzieht er den Drive nach links auf den Spielplatz und zischt einen englischen Fluch.

Gerade bereitet er sich mental auf einen Bunkerschlag aus dem Sandkasten vor, als über Kieswege die Reifen eines grün-weißen Automobils heranknirschen. Die beiden jungen Polizisten in beigen Hemden steigen aus und wenden sich dem Stadtgolfer zu: „Na, klappt's gut?“

O-oh, denke ich, daß hier irgendwas nicht stimmen kann, doch Fred bleibt souverän: „Ja, danke, knapp über Par.“ – „Die Leute beschweren sich aber, daß Sie ihnen die Bälle zwischen den Beinen herschießen!“

„Das kann nicht sein“, wehrt sich Fred mit den Grundlagen schottischer Golfethik, „denn es ist eine der wichtigsten Regeln golferischer Etikette, niemals Mitspieler oder andere Lebewesen zu gefährden!“

Der Polizist begutachtet das 9er Eisen und nickt ernst: „Tja, wir mußten der Sache nachgehen, aber wenn Sie aufpassen und nur hier auf dem Rasen bleiben...“

Fred bestätigt dies mimisch, und ich hoffe, daß die Jungpolizisten den Krater von Stadtgolfers Abschlag-Granate im Sandkasten nicht entdecken. Und dann wird Fred vom zweiten Polizisten gelobt: „Das sieht auch gut aus, wie Sie das machen!“ Er bedankt sich, die beiden steigen wieder in den Streifenwagen und wünschen noch ein „Schönes Spiel!“.

Jetzt spielt Fred, bis es dunkel ist. Und das allein schon, um den Kampfhundtrainern und anderen Parkabhängern zu demonstrieren, daß sie soeben Zeugen eines sportdiplomatischen Erfolges geworden sind und urbanes Friedhofsgolf sich vor dem Gesetz etabliert. Christian Kortmann