Keine Spur mehr von Gräbern

■ Serie: Orte der Revolution (Folge 11): Viele BerlinerInnen gingen sowohl zur Beerdigung der Barrikadenkämpfer als auch zur Beerdigung der gefallenen Soldaten auf dem Invalidenfriedhof in Mitte

In der Scharnhorststraße in Mitte, hinter dem Berliner Sitz des Bundeswirtschaftsministeriums und neben dem Berlin-Spandauer- Schiffahrtskanal liegt einer der interessantesten Friedhöfe der Stadt: der Invalidenfriedhof. 1748 eingeweiht, war er der wichtigste Friedhof für das preußische Militär in Berlin. 6.000 Menschen sind hier beerdigt. Von ihren Gräbern sind nur noch 200 Grabsteine erhalten.

Vor allem nach den Befreiungskriegen und nach 1848 wurde der Friedhof immer mehr zu einer Beerdigungsstätte für Prominente. Gerhard von Scharnhorst (1755 bis 1813), preußischer General und Reformer der Armee, ist der berühmteste Tote des Friedhofs mit einem Grabmal, das von Schinkel stammt.

Am 24. März 1848 wurden auf dem Friedhof 15 bei den Barrikadenkämpfen umgekommene Soldaten beerdigt. Die Zahl der toten Arbeiter und Bürger war mehr als zehnmal so hoch. Zwar hatte der Vorschlag des bürgerlichen Beerdigungskomitees, gefallene Bürger und Soldaten auf einem gemeinsamen Friedhof zu Grabe zu tragen, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, so daß das Komitee letztlich davon Abstand genommen hatte. Viele BerlinerInnen entschlossen sich jedoch, zu beiden Begräbnisfeiern zu gehen, so auch der berühmte Fabrikbesitzer August Borsig. Wieder waren Arbeiterdelegationen, die Bürgerwehr, Studentendelegationen und ein evangelischer und ein katholischer Prediger dabei.

Adolf Streckfuß, ein Teilnehmer der Märzrevolution, berichtet: „Auf dem Invaliden-Kirchhof war ein weites Grab gegraben, in welchem die Särge nebeneinandergestellt wurden. Der Divisionsprediger Ziehe hielt den Gefallenen die Gedächtnisrede, dann sprach auch der Prediger des Invalidenhauses, worauf die Bürger und Schützen über das Grab feuerten. Zum Schlusse der Feierlichkeit dankte General von Natzmer der etwa aus 10.000 Menschen bestehenden Versammlung für die Teilnahme, welche sie an dem Schicksale der im Kampfe gefallenen Soldaten gezeigt hatte. Ein eigentümlicher Vorfall störte die Ruhe der Versammlung am Schlusse derselben auf einen Augenblick, es ertönte nämlich aus dem Menschenhaufen plötzlich der laute Ruf: ,Militär zurück!‘ Man schaute sich nach dem Schreier um, welcher den Frieden der Versammelten zu stören beabsichtigte, und es wäre diesem vielleicht schlecht ergangen, wenn nicht der General von Neumann aufgetreten wäre und dem Rufer für seinen Wunsch, daß das Militär in die Stadt zurückkehren möge, gedankt hätte. Das beruhigte die Versammlung wieder etwas, ob aber der Herr General ganz im Sinne dessen gesprochen hat, der den Ruf ausgestoßen hat, wagen wir nicht zu behaupten.“ Die Särge der Soldaten wurden sechs Jahre später ausgegraben. Als am 24. November 1854 in der Nähe des Friedhofs die neuerrichtete Invalidensäule eingeweiht wurde, wurden sie neben der Säule in einer separaten Grabanlage beigesetzt. Die 33,70 Meter hohe gußeiserne Säule war als „National-Kriegerdenkmal“ errichtet worden, um an die insgesamt 475 in den Revolutionskämpfen 1848/49 auf preußischer Regierungsseite gefallenen Soldaten zu erinnern.

Zum 100. Jahrestag der Märzrevolution beschloß die Berliner Stadtverordnetenversammlung am 10. März 1948, die Invalidensäule als Relikt des preußischen Militarismus abzureißen. Am 14. August 1948 wurde dies in die Tat umgesetzt. Dort, wo sich die Säule mit der Grabanlage befand, verläuft heute die Habersaathstraße. Wo die Gräber geblieben sind, ist unklar. Jürgen Karwelat