Schriften zu Zeitschriften
: Der aus der Kälte kam

■ In der neuen Ausgabe von „du“ stöbert der Schriftsteller John Le Carré durch Berlin

du, die monatliche Illustrierte aus dem „TA Media“ Verlag zu Zürich, hat zu Recht Kultstatus und ist als Sammlerobjekt heiß begehrt. Für das berühmte Miles-Davis-Heft von 1989 habe ich neulich ein paar Hunderter beim Antiquar abgedrückt. Das Erfolgsrezept von du beruht auf einem schlichten Distinktionsgewinn. Während man in fast der gesamten Presselandschaft bemüht ist, die pp. Leserschaft für blöd zu erklären und alles in noch ödere, kleinere Texthäppchen mit möglichst schrillen Fotostrecken zu zerlegen, um ja nicht so was wie inhaltliche Kriterien aufkommen zu lassen (was qualifizierte Mitarbeiter erspart), geht du den umgekehrten Weg: Man läßt sich pro Heft Zeit für ein Thema, gibt den Autorinnen und Autoren splendiden Platz für ihre Artikel und Reportagen und kümmert sich um wirklich erstklassige Fotos.

Die Themenpalette ist erfreulich breit, ein Schwerpunkt ist Musik (Hefte zu Schlagzeugern, Jazz-Sängerinnen, Tango etc. wagen die Balance zwischen Trend und Antitrend), ein anderer Literatur, ein dritter soziale Phänomene wie „Suburbia“. 20 Mark sind ein fairer Preis, zumal die Hefte meistens mit einem nützlichen Serviceteil (Disko- und Bibliographien usw.) ausgestattet sind. Alles in allem ein bestechendes Konzept. Auf den ersten Blick jedenfalls.

Wer sich von du anregen läßt, weil er sich bisher noch nicht mit einem Thema beschäftigt hat, oder wer sich neue Welten aufschließen lassen will, der ist bestens bedient und bekommt einen ersten sinnvollen Überblick. Wer allerdings aus Neigung, Zufall oder Profession ein Thema schon gut kennt und sich auf mehr freut, auf Außergewöhnliches, der wird hin und wieder arg enttäuscht. Klar, jedem kann man's nicht recht machen, aber vielleicht könnte man in Zukunft allzu grobe Ausreißer vermeiden. Das aktuelle Heft (3/98) über John Le Carré mit dem schönen Titel „Alle Arten von Verrat“ zeigt alle Schwächen und Stärken des Konzepts du mustergültig.

Zu letzteren gehören deutlich die eindringlichen Fotos von Daniel Schwarz, die Le Carrè beim Herumstöbern im „neuen“ Berlin zeigen – an den Resten der Mauer zum Beispiel, die er definitiv zum „Schauplatz der Weltliteratur“ gemacht hat. Mit seinen sparsamen, aber um so eindringlicheren Szenen in „The Spy Who Came In From The Cold“. Dazu ein Porträt von Chefredakteur Dieter Bachmann, dessen Artikel zu Le Carré seit je zu den klügeren Sachen gehören, die in der deutschsprachigen Presse zu lesen waren.

Sinnvoll auch die Idee, David Cornwell alias John Le Carré mit eigenen Texten zu Wort kommen zu lassen und ihn zudem von Ex-KGB-Mann Michail Ljubimow einer interessanten Außenperspektive auszusetzen. Eine liebevolle Le- Carré-Chronik schließlich macht das Heft benutzerfreundlich für alle, die spätestens jetzt kapiert haben, daß dieser Mann nicht nur Spionage-Schmöker geschrieben hat, sondern zu den großen Gestalten der Literatur dieses Jahrhunderts gehört.

Dieser Eindruck allerdings wird fast wieder verblödet, wenn Gerhard Henschel Le Carrés Figur Smiley beliebigerweise mit „Detektiven“ aus Kriminalromanen vergleicht: Mit Pater (!) Brown, Inspector Columbo oder jemandem namens „Fizz“ (kein Druckfehler, weil durchgehend so geschrieben). Fitz aus der englischen TV-Serie „Cracker“ mit Smiley in einen Zusammenhang zu bringen heißt nun aber, lautstark zuzugeben, daß man gar nichts kapiert hat: nämlich den Unterschied zwischen Le Carré (und Ambler und Greene und Co.) und „Kriminalliteratur“. Das ist so, als ob man Sempés Männchen mit den Figuren von Walt Disney vergleicht, nur weil beide gezeichnet sind. Man kann es machen, aber es bringt nichts.

Überhaupt: Der Rahmen, in den du Le Carré unter der Rubrik „Genre“ einordnet, ist nichtssagend geraten. Manfred Pabst wartet mit einem routinierten Artikel über Eric Ambler auf, der zum tausendsten Mal auf dessen Rezeptionsfalle reinfällt, er wolle nämlich „den Leuten erklären, wie es zugeht auf der Welt“. Und Georg Brunold scheint – in einem Allerweltsartikel über Graham Greene – Somerset Maughams „Of Human Bondage“ für einen Spionageroman um seinen Geheimagenten Ashenden zu halten. Was falsch ist.

Daß es wesentlich spannender sein könnte, Le Carré im Kontrast zu seinem transatlantischen Kolllegen Ross Thomas etwa zu diskutieren, ist nirgends auch nur angedeutet.

Denn der hat nicht wie Greene den Katholizismus und Le Carré die eurozentrische Bildung (Thomas Mann, Grimmelshausen) zu bieten, ist als Romancier des „Verrats“ und der maliziösen politischen Analyse Le Carré absolut ebenbürtig. Es würde Le Carré keinesfalls beschädigen, wenn man ihn der kritischen Konfrontation aussetzte.

Für „kritische Töne“ darf in diesem Heft dagegen der „Frauenstandpunkt“ herhalten. Den gibt diesmal artig Renée Zucker und nörgelt, sicher vollinhaltlich berechtigt, an Le Carrés Frauengestalt rum, wobei sie nur schlecht verbergen kann, daß sie viel lieber über Kinofilme schreiben würde, die sie gesehen hat, anstatt über dicke Romane.

Das eben gibt es in fast jedem Heft: Bei aller Substanz rutschen Texte hinein, die dem angepeilten Niveau nicht angemessen sind oder außer dem Namen des Verfassers nichts bieten und dem Gegenstand nicht gerecht werden.

Aber was soll's. Als Interesseöffner und als Index für Themen, die interessant sein sollten, ist du eine erstklassige Adresse. Thomas Wörtche