piwik no script img

■ Indien: Die BJP könnte den fragilen Frieden Südasiens gefährdenGötterstaat und Nuklearmacht

„Rams Reich, nicht Roms Reich!“ Mit diesem Ruf zogen in Indien die hinduistischen Fundamentalisten kürzlich zur Wahl. Die Zerstörung einer Moschee in Ayodhya, der Geburtsstätte Rams, des kriegerischsten Gottes im Hindu-Pantheon, hatte vor vier Jahren zu blutigen Religionskämpfen geführt. Die Antithese Rom steht für Sonia Gandhi, Witwe des ermordeten Premierminister Rajiv Gandhi und Führerin der säkularen Kongreßpartei. Sie ist die Statthalterin des Nehru-Gandhi-Clans, der Indien 37 der 50 Jahre seiner Unabhängigkeit regiert hat.

Der Sturm auf Ayodhya war der Auftakt der Massenmobilisierung durch die Bharatiya Janata Party (BJP), bis dahin eine radikale Splitterpartei. Seit 1996 ist sie die größte Partei im Parlament. Weil Rams Brahmanentruppe jedoch von den anderen Parteien paradoxerweise wie Unberührbare behandelt wurde, konnte sie auf nationaler Ebene ihren Stimmengewinn noch nicht in Macht ummünzen.

Das hat sich im Vorfeld der letzten Wahlen radikal geändert. Die Anti-BJP-Front ist abgebröckelt, viele regionale Parteien sind mit der BJP Wahlbündnisse eingegangen, auch solche, in denen Christen, Muslime und Politiker der untersten Kasten prominente Rollen spielen. Doch die Tatsache, daß in der stabilen indischen Demokratie die größte Partei nicht einfach die Macht usurpieren kann, sagt noch nichts über die weiteren Ziele der fundamentalischen Hindus aus. Ob die BJP sich wirklich zu einer gemäßigten Volkspartei entwickelt hat, wird sich erst zeigen, wenn sie nicht mehr auf viele unterschiedliche Koalitionspartner angewiesen ist. Und dann kann es zu spät sein.

Auf dem Spiel steht die innere und äußere Sicherheit des Subkontinents. Das relativ friedliche Zusammenleben von Hunderten Völkern, Religionen, Sekten, Sprachgemeinschaften und Kasten in den letzten 50 Jahren ist die Errungenschaft eines moderaten Systems. Ayodhya aber hat gezeigt, daß auch in Indien die national-religiösen Dämonen der Geschichte nach einem Dornröschenschlaf von einem halben Jahrhundert mit einem Schlag reaktiviert werden können.

Zwar können die Hardliner der BJP in dieser Legislaturperiode noch nicht zu einer akuten Bedrohung für den inneren Frieden des Landes werden. Aber das Programm der BJP enthält genügend außenpolitischen Zündstoff, der den labilen Frieden in Südasien gefährden kann. Das friedfertige Image Indiens mag eine Folge der pazifistischen Unabhängigkeitsbewegung sein, ein Verdienst seiner Außenpolitik ist es auf jeden Fall nicht. Denn kein Land – mit Ausnahme der USA – hat in den letzten Jahrzehnten so viele militärische Konflikte ausgetragen wie Indien: drei Kriege mit Pakistan, je einen mit Portugal und China, die Annexion Sikkims sowie das Eingreifen in den Bürgerkrieg auf Sri Lanka. Das Resultat dieser Außenpolitik sind einerseits Tausende von Kilometern undefinierte Grenzen und Waffenstillstandslinien, andererseits die Anwesenheit von Terrorgruppen wie die Tamil Tiger, deren Intervention in die indische Politik (der Mord an Rajiv Gandhi) auch in diesem Wahlkampf eine gewichtige Rolle gespielt hat.

Zentrale Punkte im außenpolitischen Programm der BJP sind Indiens Anerkennung als offizielle Nuklearmacht und ein Sitz im Sicherheitsrat der UN. Über die letzte Forderung gibt es in Indien einen breiten Konsens. Aber auch gegen die „Hindu Bomb“ (BJP-Slogan) hat es, seit in den siebziger Jahren unter Indira Gandhi die erste „nichtmilitärische Nuklearsprengladung“ gezündet wurde, bislang kaum Proteste im Land gegeben. Da Pakistan mit Indien in einem ewig schwelenden Konflikt lebt, gehört ein atomares Wettrüsten in Südasien zu den Horrorszenarien der Strategen und Friedensforscher.

Wenn Staaten sich verfeindet gegenüberstehen, geht Aufrüsten immer schneller als Abrüsten. Somit kann auch eine kurze Regierungsperiode einer unstabilen Koalition nachhaltigen Schaden an einem fragilen Frieden anrichten. Indien hat noch nie allzuviel auf die pazifistischen Ideale Gandhis gegeben. Es könnte sich jetzt aber unwiderruflicher und weiter denn je davon entfernen. Andrea Goldberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen