Hall und Rauch

■ Verrücktes Zeugs: Die Japaner Audio Active führen den Dub-Reggae unter Dope-Einfluß zu ganz neuen Höhen

Japans Aufstieg zur führenden Industrienation ist natürlich auch auf die frühen amerikanischen Aufbaukredite und auf die landeseigenen hohen Importzölle zurückzuführen. Gleichwohl wäre es wohl kaum so weit gekommen, hätte man sich nicht eines weiteren goldenen Prinzips bedient: Das Säen fremder Patentrechte auf dem eigenen Acker, um dann mit japanischerseits verbesserten Produkten die Welt zu erobern.

So gesehen war es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, daß die Innovation des jamaikanischen Reggaeproduzenten King Tubby, nämlich Dub-Reggae, eines Tages ein japanisches Pendant findet; als getunte Version, versteht sich, denn es war eng geworden in Tubbys Echokammer und an der Zeit, Traditionen in Hall und Rauch aufzulösen.

Der aufmerksame Leser ahnt bereits, daß es um Audio Active geht – Japans Trumpfkarte auf dem Weltmarkt des digitalen Dub. Noch aber müßte viel aufgeholt werden, denn vorerst läuft es umgekehrt: Ein großer Teil der aus Jamaika in die Welt exportierten Platten wird zur Zeit in Japan abgesetzt. Daß sich dies eines Tages umkehren könnte, ist aber ausnahmsweise nicht wirklich zu vermuten.

Was an Audio Actives Clash aus Disneyland-Dub und verstiegenen Industrial-Sounds vor allem fasziniert, ist ihre Weiterentwicklung jener Formprinzipien, die Dub-Reggae einst zu einem halbwegs klar umrissenenen Stil machten. Ihre ersten drei Veröffentlichungen stehen ganz im Zeichen dieses Prozesses.

Das letzte Werk, das den Titel „Apollo Choco“trägt, beinhaltet klassischen Reggae nur noch in Spurenelementen. Mit zwei reggae-fizierten Ausnahmen allerdings, von denen eine ein Cover von Two Bad Cards „Weed Specialist“ist, die schon im Original äußerst gelungene Hymne für ein bekanntes jamaikanisches Heilkraut. Im Angesicht von Japans restriktiver Drogenpolitik ein deutliches Statement. Da Dope und Dub hörbar nah beieinander liegen, führt Audio Actives „Weed Specialist“auf ungekannten Wegen bis in die letzten Windungen der dienbar gemachten Halbleitertechnologie.

Während ihrer außerhalb des Reggae-Kosmos' stattfindenen Erkundungsfahrten, die, wie gesagt, den überwiegenden Teil ihres jüngeren Schaffens ausmachen, zerdehnten Audio Active Industrial, House und Techno-Sounds auf eine Weise, die in roher Form bereits beim alten englischen Dubexperimentator Mark Stewart anklang. Sie verwenden insofern Dub als abstraktes Produktionsprinzip, als Hall, Echo und viel Bass zu einer Klammer um ein wundersam funktionsfähiges Konstrukt addiert wird.

Wohin es führt, wenn Japaner kiffen und konstruieren, läßt sich am Dienstag abend mal wieder in der Markthalle begutachten. Den Support für dieses Konzert gibt der deutsche Act Plexiq. Ein „strong pop appeal“, so das Presse-Info, und die Mischung aus den beliebten Musikstilen Dub, House, Ambient und Trip-Hop vereint als Plexiq alles, was bekanntlich schon Könner wie Rockers Hi-Fi groß und stark gemacht hat.

Nils Michaelis

Di, 24, März, 21 Uhr, Markthalle