Kohl ja – Castor nein

Auf politisch korrekte Anzeigen zu setzen, kann in der notorisch unterfinanzierten taz nicht gutgehen. Denn weder Greenpeace noch die GesinnungsleserInnen, die bei jedem nicht genehmen Artikel mit Abokündigungen drohen, können eine Tageszeitung auf lange Sicht über Wasser halten. Dennoch müssen wir fragen dürfen, wo für uns die Schamgrenze ist, ohne gleich als Gralshüter des Anti-Kapitalismus diffamiert zu werden. Bei den Castor-Anzeigen ist diese Grenze klar überschritten. Das soll nicht bedeuten, Anzeigen etwa der CDU, der HEW (als AKW-Mitbetreiberin) oder eines Autokonzerns grundsätzlich abzulehnen. Warum sollte Kanzler Kohl nicht dafür bezahlen, sich in der taz seine Wiederwahl zu wünschen? Warum die HEW nicht zum Stromsparen auffordern oder ein Autohersteller für eine Fünf-Liter-Karosse werben?

Die Befürchtung, das die inhaltliche Linie dieser Zeitung von solchen Anzeigenkunden beeinflußt werden könnte, ist allerdings nicht völlig von der Hand zu weisen. Zwar ist die Redaktion unabhängig. Doch wenn die Berliner Geschäftsführung es „Sabotage“nennt, wenn ein kritischer Artikel zu Unternehmen X in derselben Ausgabe erscheint wie dessen Anzeige, dann ist das keine vertrauensbildende Maßnahme. Deshalb: Der Zweck rechtfertigt nicht den Anzeigeninhalt. Silke Mertins

stv. Redaktionsleiterin