Bowling - nicht Vietnam

■ "Wir wollen ja gar nicht von allen umarmt werden." Ethan und Joel Coen versuchen im Gespräch und mit Gelächter ihre Arbeit zu analysieren. Ihren neuen Film "The Big Lebowski" finden sie "auch eher eine hundertproze

Als ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe, habe ich mich gefragt: Wie werdet ihr auf eure eigene Arbeit zurückblicken, vom gerade fertiggestellten siebten Film aus? Voller Stolz, voller Trauer über die verpaßten Gelegenheiten, oder werdet ihr euch womöglich gar nicht mehr wiedererkennen?

Ethan Coen: Schwer zu sagen, weil wir nicht mehr viel daran denken, nachdem ein Film fertig ist. Man hat soviel Zeit damit verbracht, sich um alle möglichen Details gekümmert, hat zwei Jahre mit dem Film gelebt, so daß man ganz erleichtert ist, wenn man nicht mehr an ihn denken muß.

Joel Coen: Ich bin ganz überrascht, daß es schon sieben Filme sind. Wenn ich daran denke, werde ich fast ein wenig depressiv, weil ich mich dann alt fühle. Wir treiben nicht allzuviel Nabelschau oder Selbstbefragung über das, was wir gemacht haben. Ab und zu, wenn man ein Stückchen wiedersieht von seinen Filmen, na ja... Wir schauen uns später kaum noch mal etwas an, sobald ein Film fertig ist. Wenn man dann etwas bemerkt, dann meist das, was man heute vermutlich anders gemacht hätte, vor allem in der Montage. Aber nichts in den Filmen, die wir gemacht haben, nagt wirklich an mir...

EC: Mir ist nichts peinlich, wenn ich es wiedersehe.

„The Big Lebowski“ sieht aus wie eine Mischung aus typischen Coen-Motiven und -Marotten, doch am meisten hat er mich an „Raising Arizona“ erinnert...

JC: Ja, das ist wahr...

EC: Das überrascht mich nicht, ich weiß aber auch nicht, warum es so ist.

JC: Vielleicht ist es die Tonlage, die am stärksten an „Raising Arizona“ erinnert, „The Big Lebowski“ ist auch eher eine hundertprozentige Komödie.

Die fast schon parodistisch wirkende Off-Stimme des Erzählers ist eine weitere Gemeinsamkeit...

EC: Ja, aber das haben wir schon verschiedentlich gemacht.

JC: Stimmt, mich erinnert es an die Szene in „Raising Arizona“, wo Nick Cage im convenience store steht. Vielleicht ist es auch das zeitgenössische Ambiente, nach all den period pieces, die wir gemacht haben.

Hat es für „The Big Lebowski“ so etwas wie eine Initialzündung gegeben, ein bestimmtes Bild, eine Schlüsselszene wie den Hut von Gabriel Byrne in „Miller's Crossing“ oder die abblätternde Tapete in „Barton Fink“?

EC: Tja, oh boy...

JC: Mir fällt kein bestimmtes ein. Es war vor allem die Arbeit an den Figuren von Dude und Walter, die den Film für uns ins Rollen gebracht hat, die so etwas wie ein Auslöser war. Es gab aber kein bestimmtes Bild, keine spezifische Idee wie bei anderen Filmen, die wir gemacht haben.

Ich frage danach, weil mich interessiert, wie eure Zusammenarbeit funktioniert. Ob einer mit einer Idee ankommt, die auch beim anderen gleich Funken schlägt, die vielleicht Widerspruch herausfordert und so zu einer neuen, gemeinsamen Lösung führt. Was ist die Formel, die erklärt, wie die Chemie zwischen euch funktioniert?

JC: Allgemein gesprochen kommen da immer mehrere Dinge zusammen. Im Falle von „The Big Lebowski“ ist es jedoch ein wenig anders. Zum ersten basieren die Figuren sehr locker auf Leuten, die wir beide kennen. Zweitens wollten wir etwas machen, was ein bestimmtes erzählerisches Feeling erzeugt – wie eine moderne Raymond-Chandler-Story, deswegen mußte der Film auch unbedingt in L.A. spielen. Diesen narrativen Fluß wollten wir haben, eine Geschichte, die durch verschiedene Viertel und soziale Schichten in L.A. führt wie in Chandlers Büchern. Das war im Hintergrund, das hat uns interessiert, als wir das Drehbuch schrieben.

Ich habe sofort an Chandlers „The High Window“ gedacht, wo der eine Detektiv dem anderen nachspioniert, aber es gibt in der Tat eine Menge kleiner Verweise auf Chandlers Romane...

EC: Ja, es war ganz gewiß mehr als ein Buch, das wir im Hinterkopf hatten.

JC: Auch die Story um den reichen alten Typen in Pasadena, der den ganzen Plot in Bewegung bringt, ist für mich typisch Chandler. In „Big Sleep“ sind es ja die jüngere und die ältere Tochter, die das ganze Durcheinander auslösen, hier ist es die vorgetäuschte Entführung.

Chandler, aber auch Hammett und die ganze Schwarze Serie sind für euch offenbar eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Einerseits ist es ein relativ geschlossenes Genre, vor allem aber gibt es den literarischen Aspekt, der eurer Art zu erzählen sehr entgegenkommt.

(beide einmütig) Das ist sicher wahr.

EC: Es ist komisch, weil die Leute, die über unsere Filme schreiben, sich immer nur auf andere Filme beziehen, wenn sie etwas vergleichen. Es hat oft mehr mit der heutigen Borniertheit zu tun, daß diese literarischen Bezüge übersehen werden.

Die Bezüge sind doch aber unübersehbar, bei „Miller's Crossing“ hätten euch Hammetts Erben sogar wegen Plagiats vor Gericht bringen können...

(beide lachen)

JC: Ja, es sieht schon aus wie eine wilde Melange aus „The Glass Key“ und „Red Harvest“.

Ich frage mich noch immer, wie eure Zusammenarbeit funktioniert. Vielleicht führt ja die Spur zurück in die Kindheit. Habt ihr viel gelesen – es gibt ja dieses Faible für Sprache, für komplizierte Erzählstrukturen in euren Filmen –, oder habt ihr dauernd TV geguckt? Es muß doch so was wie einen „common ground“ geben, ihr seid ja nicht so viele Jahre auseinander...

EC: Wir haben natürlich viel Fernsehen gesehen, viele Filme und meist auch gemeinsam.

JC: Stimmt, allerdings ist unser Vater Professor für Ökonomie, unsere Mutter lehrt Kunstgeschichte; klar, als Akademiker hatten sie ein Interesse daran, daß ihre Kinder Bücher lesen, und sie haben uns auch dazu ermutigt. Man sollte diesen gemeinsamen Background nicht zu sehr betonen, ihn nicht mystifizieren, aber man sollte auch nicht so tun, als wäre er belanglos. Andererseits machen die drei Jahre Altersunterschied [Joel ist 1955 geboren, Ethan 1958] in der Pubertät schon viel aus, man hat andere Freunde etc. Aber daß wir so viel Zeit miteinander verbringen, um zu arbeiten, das kam eigentlich erst nach dem College. Es hat schon sehr viel mit der professionellen Zusammenarbeit unter Erwachsenen zu tun, auch wenn wir eine gemeinsame Geschichte haben und unzählige gemeinsame kulturelle Bezugspunkte.

Euer Humor müßte zumindest eine gemeinsame Wurzel haben. Glaubt ihr nicht, daß in eurer „jewishness“ ein Hinweis darauf steckt? Seid ihr noch traditionell erzogen worden, oder hat Religion keine Rolle bei euch gespielt?

EC: Wir sind ziemlich traditionell erzogen worden, weil unsere Mutter sehr darauf geachtet hat, unserem Vater war das eher egal. Moderat streng, würde ich sagen.

In euren Filmen steckt, was den jüdischen Humor angeht, allerdings mehr Billy Wilder als Woody Allen, ganz grob gesagt...

beide: Ja, das ist wahrscheinlich so.

JC: Aber ob man das auf chassidische Witze zurückführen kann? Na ja, vielleicht, warum nicht? Ich bin auch nicht so ganz sicher, was denn nun das Spezifische an ihnen ist.

Vielleicht sind es ja bestimmte Lebensregeln und -erfahrungen, die alle eure Figuren lernen müssen, auch Dude Lebowski. Sie wollen, wie zum Beispiel auch Barton Fink, etwas, das jenseits ihrer Möglichkeiten liegt, die sie bei dieser Gelegenheit kräftig überschätzen. Und deshalb geraten sie immer wieder in einen Schlamassel, vor allem die Männer.

EC: Sie sind Trottel. Ist schon wahr.

JC: Das ist lustig... (die weitere Antwort geht in beider Lachen unter)

Nach der Schule habt ihr dann sehr verschiedene Wege eingeschlagen. Joel ist zur Film School gegangen, Ethan hat Philosophie studiert. Da ist es nicht gerade zwingend, daß ihr wieder zusammengefunden habt nach dem College. Oder gibt es einen geheimen Zusammenhang zwischen dem Schneiden von Horrorfilmen und philosophischen Analysen?

EC: Das ist schon eine ziemlich schräge Verbindung.

JC: Wir hatten das gemeinsame Interesse am Filmesehen und dann auch am Filmemachen. Und irgendwann waren wir an dem Punkt, wo man auch mal was dafür tun, wo man mit seinen Sachen rauskommen muß.

Der Einfluß des Philosophiestudiums war also verschwindend...

JC: Dazu kann ich gar nichts sagen (lacht).

EC: Das ist ähnlich wie mit der jüdischen Herkunft. Es gehört zum Background, aber man kann es nicht genau benennen, auch wenn man das Gefühl hat, daß es etwas bedeutet.

JC: Das ist so ähnlich wie mit der Tatsache, daß wir Brüder sind. Es wäre absurd, den Einfluß zu verneinen, dafür hat man einfach zu viele gemeinsame Referenzpunkte und Interessen, aber irgendwie wären alle direkten Verbindungen oder Ableitungen zu vereinfachend.

EC: Es ist, wie du gesagt hast, eher die Art von Billy Wilder, sich auf Genres zu beziehen, die uns liegt.

Das Spiel mit Genres durchzieht eure ganze Arbeit wie ein Leitmotiv, vor allem der Bezug auf den Film noir; andererseits hat die visuelle Seite des Erzählens bei euch von Anfang an einen hohen Stellenwert, als wäret ihr jenes hollywoodtypischen mittleren Realismus schon müde gewesen, als ihr anfingt, Filme zu machen.

EC: Das stimmt, alles Reportageartige, Realistische oder Dokumentarische hat uns nie so sonderlich interessiert. Vielleicht ist „Fargo“, in Teilen zumindest, eine Ausnahme, er ist ein wenig naturalistischer als unsere anderen Filme, aber doch noch immer sehr stilisiert.

Über den Humor in „Fargo“ hat sich mancher beschwert, „Time“ etwa meinte, ihr machtet euch nur über die Leute lustig, von denen ihr erzählt. Empfindet ihr es als besonders schwierig, euren Humor zu vermitteln, vor allem in Amerika?

JC: Es ist hier sehr leicht, Leute zu beleidigen. Es fühlt sich immer einer angegriffen, aus regionalen, ethnischen oder was für Motiven auch immer. In Minnesota war das Publikum sehr gespalten in seiner Reaktion auf den Film. Einheimische, die ihn mochten, haben das Spezifische darin wiedererkannt, was keiner, der dort nicht lebt oder gelebt hat, zeigen könnte. Andere wiederum waren zutiefst beleidigt. Es ist schwer, etwas zu machen, ohne daß einen jemand mißversteht.

Stört es euch manchmal, daß man eure Filme, euren Humor in Europa mehr zu würdigen weiß als in Amerika?

JC: Wir sind glücklich, daß sie überhaupt einer mag... Es ist ja nicht so, daß wir hingehen und einen Film machen mit Riesenerwartungen an sein kommerzielles Potential. Das verletzt uns nicht, wir wollen ja gar nicht von allen umarmt werden. Klar hätten wir gern mehr Zuschauer, wer will das nicht, aber andererseits...

EC: Wenn man einen Film wie „Fargo“ macht, redet man sich nicht ein, daß man damit das „Titanic“-Publikum erreicht.

JC: Wir waren sehr überrascht, wie viele Leute sich „Fargo“ angesehen haben, ernsthaft. Interview: Peter Körte

Auszug aus: Peter Körte/Georg Seeßlen (Hrsg.): „Joel & Ethan Coen“. Betz Verlag, Berlin 1998, 36,90 DM