Die Rückkehr der Fernsehantenne

■ Bertelsmann, Kirch und Telekom planen die Fernsehzukunft im Kabel. Doch über Antenne kann man in der Digital-Ära fast genauso viele Programme empfangen – ohne Telekom-Kabel

Beinahe sah es schon aus, als würde die letzte Fernsehantenne bald abgesägt. Wer am überbordenden Fernsehangebot hierzulande noch einigermaßen teilnehmen will, muß sich eine Satellitenschüssel an den Balkon kleben oder einen Kabelanschluß in den Keller legen – und dafür monatlich an die Telekom oder einen anderen Netzbetreiber löhnen. Allenfalls ein Fünftel der TV-Zuschauer hängt noch an der guten alten Antenne, und auf den Bildschirmen jenes Zuschauerrests sieht es aus wie in grauer Fernsehvorzeit: drei bis fünf Programme, überwiegend öffentlich-rechtlich.

Doch schon bald könnte das Fernsehen über Antenne zurückkehren – nicht trotz, sondern wegen der Digitalrevolution, die das gesamte Fernsehen in den nächsten Jahren ergreifen soll. Tonangebende Techniker und Experten bauen auf das sogenannte terrestrische Digitalfernsehen („DVB-T“). Als sie Anfang des Monats bei einer Tagung in Berlin zusammenkamen, rühmten sie die DVB- T-Technik dermaßen, daß man sich fragte, ob nicht bald einmal die Kabelanlagen der Telekom überflüssig werden könnten – der Monopolist entwickelt an der terrestrischen Digitaltechnik mit: aus Angst, den Anschluß zu verpassen. Mindestens 30 Programme, so rechnete Gerd Bock, Technischer Direktor des NDR, vor, könnten derart über Antenne geschickt werden.

Vorreiter der Entwicklung sind England und Schweden, wo noch dieses Jahr landesweit die Verbreitung von digitalem Fernsehen über terrestrische Sender aufgenommen wird. Dort beginnt auch die Serienherstellung von Empfangsgeräten für DVB-T. Mit einer Anzahl dieser Decoder will der NDR zusammen mit Radio Bremen und der Niedersächsischen Landesmedienanstalt nächstes Jahr ein Pilotprojekt für terrestrisches digitales Fernsehen starten.

Zu diesem Zweck sollen die bereits analog verbreiteten Fernsehprogramme in den beteiligten Regionen auf weiteren Kanälen digital ausgestrahlt werden. Dazu können die Techniker auch sogenannte Tabu-Kanäle nutzen. Das sind TV-Kanäle, die bei der herkömmlichen Ausstrahlung frei bleiben müssen, um nicht benachbarte Programme zu stören. Mit Digitaltechnik ist das kein Problem, wie die Telekom schon bei der letzten Berliner Funkausstellung bewies: Damals nutzte sie im dichtbepackten Himmel über Berlin noch einmal drei Fernsehkanäle für die digitale Ausstrahlung.

Mittelfristig sollen die analogen Sender abgeschaltet werden. Der Anreiz: Für die digitale terrestrische Ausstrahlung müßten die Rundfunkanstalten nur noch ein Zehntel der 170 Millionen Mark ausgeben, die sie die terrestrische Fernsehversorgung des gesamten Bundesgebiets heute kostet. Doch wenn komplett auf digitale Technik umgestellt wird, braucht jeder TV-Gucker einen Decoder – egal ob für Antennen-, Kabel- oder Satellitenfernsehen. Bis zum Juni will die Bundesregierung einen entsprechenden Zeitplan für das Ende des analogen Fernsehens ausarbeiten. Noch ist unklar, was mit Haushalten geschieht, die sich bis zur Abschaltung noch keine digitale Empfangsanlage gekauft haben. Sie könnten eine subventionierte „Volksbox“ für rund 300 Mark kriegen, erwägt NDR-Technikchef Bock. Tatsächlich könnte der Grundversorgungsauftrag die Öffentlich-Rechtlichen zwingen, eine „Volksbox“ zu stellen oder das teure analoge Fernsehen beizubehalten, bis auch der letzte Apparat Marke Philips Goya von 1971 seinen Geist aufgegeben hat.

Stellenweise könnte der digitale Antennenempfang schon bald etabliert sein. In NRW solle möglicherweise DVB-T im Regelbetrieb ausgestrahlt werden, kündigte Ulrich Freyer von der NRW-Medienanstalt LfR an.

Den Pay-TV-Strategen der Konzerne Bertelsmann und Kirch, die vor allem mit Kabel und Satellit planen, dürfte diese Entwicklung allerdings weniger gefallen. Denn für deren Pay-TV-Pläne mit zig Programmen hätte die neue Antennentechnik dann wohl auch wieder nicht genug Platz. Einen gewissen Frequenzmangel würde es voraussichtlich trotz allem geben. Bei der Frequenzverteilung aber könnten die Konzerne mit ihrem immensen Bedarf in die Röhre gucken. Jürgen Bischoff