Rätselhaft überzeichnete Alltagswelt

Ein Mann mittleren Alters blinzelt angestrengt durch einen Schlitz in der Wand. Er wird dabei von einem Fotografen beobachtet, der Aufnahmen für eine Story über Peepshows macht. Später landet das Foto in einer Zeitung, wo es der Berliner Künstler Johannes Kahrs entdeckt. Der Augenblick wird bei ihm zur Vorlage für die Zeichnung „Schwarzes Loch – weiße Wand“, die bis zum 18.April mit sieben weiteren großformatigen Grafiken von Kahrs in der Berliner Galerie Franck + Schulte zu sehen ist. Um das Spiel mit den Medien vollständig zu machen, erscheint das Bild nun auf den Literaturseiten der taz: Der Voyeur wird öffentlich (siehe auch Interview).

Alles dreht sich im Kreis – die Art, wie sich der 1965 geborene Kahrs Images vornimmt, ist durchtrieben. Erst mit der Zuspitzung von Details, durch die Strenge, mit der bestimmte Partien innerhalb der Bilder isoliert sind, ergibt sich eine Klarheit, die über eine naturgetreue Darstellung hinausreicht. Der vermeintliche Realismus kippt in Abstraktion um: Als Konsequenz des Mediums gibt es nur noch Licht und Dunkel, weiße Löcher und schwarze Fläche.

Trotzdem führt die Reduktion in die Irre, weil jede Aussparung plötzlich Löcher in den Teppich aus visuellen Informationen reißt. Man weiß nicht mehr, was die Krankenschwester über den Korridor schiebt; und man wundert sich, warum Ludwig Erhardt auf die Limousine vor der Tür zuzuschweben scheint. Der Alltag ist eine Aneinanderreihung zeitloser Begebenheiten, die Kahrs in seinen Zeichnungen eingefroren hat. Daß er nur für den Moment aufblitzt, macht die Bilder rätselhaft. Harald Fricke

(Alle Abb.: Johannes Kahrs/

Franck + Schulte)