Will überhaupt noch jemand in Deutschland ernsthaft das Mahnmal zum Gedenken an den millionenfachen Mord an Europas Juden? Die sich dagegen aussprechen, argumentieren vordergründig mit ästhetischen Bedenken, so etwa Berlins Regierender Bürg

Will überhaupt noch jemand in Deutschland ernsthaft das Mahnmal zum Gedenken an den millionenfachen Mord an Europas Juden? Die sich dagegen aussprechen, argumentieren vordergründig mit ästhetischen Bedenken, so etwa Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen (CDU). Helmut Kohl will das Holocaust-Mahnmal wirklich, noch in diesem Monat will er eine Entscheidung herbeiführen. Warum? Weil er es Ignatz Bubis hoch und heilig versprochen hat – im Tausch gegen dessen Ja zur zentralen Kranzabwurfstelle Neue Wache in Berlins Mitte.

Mahnmal als Faustpfand

Was lange währt, wird endlich gut. Gemessen daran muß das Berliner Holocaust- Mahnmal geradezu sensationell werden. In den nächsten Tagen wird sich erweisen, ob der große Wurf gelingt, ob das nationale Mahnmal allen Widersprüchen zum Trotz gebaut wird.

Die Auslober müssen sich auf einen Entwurf einigen. Vier stehen zur Auswahl, der von Helmut Kohl favorisierte Entwurf der New Yorker Eisenman und Serra liegt nach Informationen dieser Zeitung überarbeitet im Kanzleramt. Noch steht kein Termin für eine Einigung fest. Und der notwendige Konsens steht seit gestern wieder in Frage. Der Bund, das Land Berlin und der private Förderkreis um Initiatorin Lea Rosh haben das alleinige Entscheidungsrecht. Gestern indes preschte der Regierende Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), vor, um das Mahnmal im letzten Moment zu verhindern. Wenn sich keine Lösung für das „Wie“ finden ließe, sagte Diepgen der FAZ, stelle sich die Frage des „Ob“.

Eine „Hauptstadt der Reue“, die will Diepgen abwenden. Er stützt seinen Protest auf einen breiten gesellschaftlichen Widerspruch gegen die geplante Form des Mahnmals. Doch Diepgen hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht: „Der Kanzler hat es mir in die Hand versprochen“, bestätigte Ignatz Bubis der taz. Neun Worte des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden bewirken seit Jahren, daß die Diskussion um ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas dieses nicht längst zugrunde gerichtet hat. Ein Satz von Bubis schafft unerschütterliche Gewißheit. Gewißheit der christlichen Deutschen, die für ein nationales Holocaust-Mahnmal kämpfen.

Aber auch die Initiatoren des Mahnmals stellen sich inzwischen gegen dasselbe. Walter Jens, ehemaliger Präsident der Akademie der Künste, einst Mitbegründer der Idee eines Mahnmals, appellierte gemeinsam mit Marion Gräfin Dönhoff, dem jetzigen Akademiepräsidenten György Konrad, Günter Grass, Wolf Jobst Siedler und anderen öffentlich an die Auslober des Mahnmals, eine Entscheidung darüber auszusetzen.

Schon als Kohl die noch zur Auswahl stehenden vier Entwürfe im Januar in Berlin besichtigte, warf der Regierende Bürgermeister vor versammelter Runde ein, er wolle so kein Mahnmal. Keiner aus der christdemokratischen Riege der Hauptstadt kann sich mit dem Gedanken anfreunden, sich regelmäßig vor den Opfern des Holocaust zu verneigen.

„Ein sinnvolles Mahnmal kann es nicht geben“

Und auch in Bonn stößt das Mahnmal auf Widerstand. Innenminister Manfred Kanther (CDU), der mit Kultur beauftragte Minister, hielt es nicht für nötig, bei der Präsentation der Entwürfe persönlich zugegen zu sein. „Er will das Mahnmal nicht“, ist sich ein Mitglied des Ältestenrates im Bundestag sicher, „sonst hätte er nicht stets untergeordnete Beamte geschickt.“

Auch einer der Mächtigsten warnt. Ernst Cramer, der Spiritus rector des meinungsbildenden Springer-Konzerns, Nachlaßverwalter von Axel Springer und selbst Holocaust-Überlebender, kommt nach bald zehnjähriger Debatte zu dem Schluß: „Man sollte endlich den Mut finden zuzugeben, daß es ein sinnvolles und befriedigendes Mahnmal nicht geben kann. Man sollte einsehen, daß der Versuch, den vielmillionenfachen Mord an den Juden und an allen anderen adäuquat künstlerisch zu erfassen, zu versinnbildlichen, zu allegorisieren, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.“

Nur in Bonn ist man sich einig, der „Dicke“, der will das Mahnmal – und dann wird es auch gebaut. Das „informelle Gremium“ für das Holocaust-Mahnmal des Bundestags unter Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) begleitet für die Volksvertreter den Entscheidungsprozeß. Volker Beck, für die Bündnisgrünen im informellen Gremium, ist davon überzeugt, daß Helmut Kohl für das Mahnmal steht: „Der Bundeskanzler hat den Berliner Regierenden Bürgermeister wie einen Schulbuben abgekanzelt, als der sich (im Januar) gegen das Mahnmal gestellt hat.“ Auch der SPD- Vertreter in der Süssmuth- Gruppe, Peter Conradi, sagt: „Der Kanzler will das Mahnmal wirklich. Wenn Helmut Kohl von seiner Mutter erzählt, die beim jüdischen Bäcker eingekauft hat, meint er das ehrlich.“

Schon einmal hatte das Kohlsche Veto verhindert, daß ein prämierter Entwurf realisiert wurde: Die „Platte“ von Christine Jakob- Marcks, eine schräg liegende Steinfläche mit den eingravierten Namen der ermordeten Juden und Jüdinnen, war dem Kanzler zu bombastisch. Seit dem nachgereichten Veto des Kanzlers herrschen deshalb Zweifel im Land an der Aufrichtigkeit des Kohlschen Wunsches nach einem Mahnmal.

Wenn die Überarbeitung Kohl gefällt, wird gebaut

Doch Kohl steht im Wort. Nach der deutschen Vereinigung sehnte sich der Kanzler nach einer nationalen Gedenkstätte. Eine Gedenkstätte für die „Opfer von Krieg und Gewaltherrrschaft“ sollte es werden. Die Schinkelsche Neue Wache an Berlins Prachtboulevard Unter den Linden wurde aller Proteste zum Trotz als nationale Kranzabwurfstelle umgestaltet. Unmut rief zum einen hervor, daß die Pietá – die trauernde Mutter von Käthe Kollwitz –, um ein vielfaches aufgeblasen, die Gedenkstätte schmückt. Auch dagegen protestierte Walter Jens übrigens in einem öffentlichen Brief an Bundeskanzler Kohl.

Im Zentrum des Protestes stand die erkorene Widmung. „Als ob Krieg und Gewaltherrschaft Subjekte des Infernos gewesen wären, abstrakte Mächte und nicht Menschen! Nicht abgerichtete Männer und halbe Kinder, die man als Kanonenfutter vor die Geschosse trieb, nicht Folterknechte, Schreibtischtäter und Mörder aller Couleur“, empörte sich Walter Jens.

„Wie kann ich meiner in Auschwitz ermordeten Nichte Rahel an derselben Stelle gedenken wie einem SS-Mann, der im KZ gemordet hat und im Krieg ums Leben gekommen ist?“ So formuliert Ignatz Bubis sein Zurückschrecken vor der Kohlschen Gedenkstätte. Zur Einweihung der Neuen Wache 1993 ist er dennoch erschienen. „Dafür hat mir Helmut Kohl versprochen, daß es das Mahnmal für die ermordeten Juden geben wird“, erklärte er sein Nachgeben.

In Kürze, so sagte Lea Rosh gestern der taz, treffen sich die Auslober, um über die Entwürfe zu entscheiden. Wenn die Überarbeitung von Eisenman/Serra dem Kanzler gefällt, so heißt es, werde gebaut. „Nach zehn Jahren Diskussion ist die Zeit reif für eine Entscheidung“, mahnt nun Rita Süssmuth. „Ein Nein“ zu den jetzigen Entwürfen, so Süssmuth, könne gründlich mißverstanden werden. „Dann könnte sehr schnell der Verdacht aufkommen, das Holocaust-Mahnmal sei nie gewollt.“ Ihr Kollege Conradi: „Es könnte sein, daß ich am Schluß zu dem Ergebnis komme, wir schaffen es einfach nicht. Wir bauen statt dessen ein Museum oder ein Informationszentrum. Aber der Beweis dafür, daß uns eine künstlerisch gute Lösung für das Mahnmal nicht gelingt, ist noch nicht erbracht.“ Barbara Junge, Berlin