Es gibt kein Privatleben

Berlin 1975, im Jahr der Frau. In Friedenau, am Breitenbachplatz, werden die Bäume langsam vom Rohbau der Stadtautobahn erdrückt. Dazwischen ein Zeitungsladen, ein Sarottigeschäft, ein Friseur und ein paar Kneipen. Eine Gegend, wo Beamte mit ihren Familien zu Hause sind und sich Wohngemeinschaften noch als Exoten fühlen. In einem bürgerlichen, fast piefigen Haus verspricht im Erdgeschoß ein Beerdigungsunternehmer „Pietät“; ein paar Treppen höher lebt Alice Schwarzer. Zum Hausstand gehören zwei Mitbewohnerinnen, die beide in der Frauenbewegung aktiv sind. Eine davon ist Alice Schwarzers Lebensgefährtin.

Die Frauen-WG hat es sich in der großzügigen Altbauwohnung behaglich gemacht. Niedrige Sitzmöbel und ein alter Eßtisch im Gemeinschaftsraum, dunkle Töne vom Sofa bis zu den Teppichen. Bücher stehen herum, es riecht nach Schreibtischarbeit. Über dem Tisch hängt ein Poster von Marilyn Monroe; Marilyn mit viel Kleid und Mona-Lisa-Lächeln. Ein eher keusches Foto der Sexgöttin, die einmal Alices Jugendschwarm war und die sie inzwischen zum Symbol ausgebeuteter Weiblichkeit erkoren hat.

In diesen vier Wänden geht es schon etwas gediegener zu als in den meisten Berliner Wohngemeinschaften. Die Frauen fahren zwar einen klapprigen Renault4, aber in Alices Kleiderschrank stößt man durchaus auf das Firmenzeichen von „Yves Saint-Laurent“, und hier kommt weder der billigste Wein ins Haus noch ein Alles-Aldi-Menü auf den Tisch. Hier wird mit Genuß gegessen und getrunken; auch wenn das bei Linken verpönt – weil bürgerlich ist.

Die Wohnung am Breitenbachplatz wird zu einem Anlaufpunkt der Berliner Frauenszene. Meist sei es da ziemlich lustig zugegangen, erzählen frühere Besucherinnen und erinnern sich ein wenig wehmütig an die Treffen mit dem endlosen Gekicher und Geschnatter.

Im Februar des Jahres hat Alice Schwarzer einen spektakulären Auftritt im Fernsehen. Auf Einladung der WDR- Frauenredaktion liefert sie sich ein Wortgefecht mit Esther Vilar, einer Autorin, die in ihrem vehement debattierten Buch „Der dressierte Mann“ den Zipfelträger bedauert und ihm auch das „Recht auf zwei Frauen“ zugesteht.

Vilar verlegte sich auf die Frage, wie die Frau es trotz ihrer Unterbelichtung geschafft hat, sich den Mann gefügig zu machen. „Die Frauen lassen die Männer für sich arbeiten, für sich denken, für sich Verantwortung tragen. Die Frauen beuten die Männer aus ... Die Männer sind stark, intelligent, phantasievoll, die Frauen schwach, dumm und phantasielos.“

Klingt hübsch gemein, ist aber nicht originell. Eigentlich nahm sich Vilar nur ein Beispiel an der Amerikanerin Valerie Solanas: So wie Solanas auf Männer einschlägt, versucht sich Vilar an Frauen. Bereits 1968 hatte Solanas ihr „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ verkündet. Frauen bleibe nichts anderes übrig, als „die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten“. Der Mann sei eine „unvollständige Frau, eine wandelnde Fehlgeburt“, beherrscht vom „Vagina-Neid“ und noch nicht einmal als „Zuchtbulle geeignet“. Weil er zu „menschlichem Kontakt und zum Mitleid“ unfähig sei, habe er „die ganze Welt in einen Scheißhaufen verwandelt“. Deshalb müsse er auch wie Scheiße behandelt werden.

Im Vergleich mit Solanas' üppig wuchernden Haßphantasien auf das Männergeschlecht ist Esther Vilars Weiblichkeitskritik langweilig hausbacken. Wo Valerie Solanas mit der nervösen Verve der Tabubrecherin agiert, fehlt Esther Vilar das Zeug zur Pamphletistin. Sie wärmt nur ranzige Vorurteile auf, die nicht einmal mehr dazu taugen, einer gewissen Sorte Frau ironisch den Spiegel vorzuhalten. Doch Vilars Buch erscheint zur rechten Zeit, um Furore zu machen: Frauen, die gerade ein neues Selbstbewußtsein entdecken, fühlen sich vors Schienbein getreten und Männer, die durch die Frauenbewegung verunsichert sind, in ihren Klischees bestätigt. Und so befindet Alice Schwarzer, daß es im Jahr der Frau dringend notwendig sei, Vilars „zynischen“ Argumenten Einhalt zu gebieten. „Viele Frauen waren verletzt, empört, aber eben nur privat“, sagt sie. „Es galt, öffentlich darauf zu antworten.“

Der WDR hat die Sendung für Weiberfastnacht angesetzt. „Das Ganze war wohl auch von der Redaktion selbst durchaus als Gag, als ,Weiberzank‘ geplant gewesen“, glaubt die geladene Alice Schwarzer. Mit ihrer „Ernsthaftigkeit und Betroffenheit“ im Gespräch habe sie diese Absicht allerdings „durchkreuzt“.

Bei dem Streitgespräch sitzen sich die beiden Frauen in Sesseln gegenüber, als Pufferzone dient nur ein kleines Cocktailtischchen, eine Gesprächsleitung gibt es nicht. Alice Schwarzer im wadenlangen Kleid mit Stiefeln in eher weiblicher Aufmachung, voll geballter Energie und eifernd in ihrer Mission; Esther Vilar in langen Hosen und engem Pulli, dunkelhaarig, sehr schmal und knabenhaft kühl.

Alice Schwarzer zu Esther Vilar: „Wie kommen Sie zu dieser Frauenverachtung und zu dieser Männerverherrlichung?“

Esther Vilar zu Alice Schwarzer: „Weil ich den Quatsch nicht länger anhören kann, den Sie und Ihre Genossinnen in der Öffentlichkeit verbreiten.“

Spätestens diese Diskussion, faßt der Stern im nachhinein zusammen, „machte die 32jährige Journalistin bei den unzufriedenen Frauen im Land populär. Wie ein Maschinengewehr ratterte damals die Schwarzer auf ihre intimste Feindin ein.“ Die Stuttgarter Zeitung stellt fest, Alice Schwarzer habe Esther Vilar, „die noch im vorigen Jahr ,in‘ gewesen“ sei, „siegreich die Publicity-Palme entrissen“. Die Welt spricht von der „tele- aktiven Vilar-Killerin“ und freut sich am „legendären giftgetränkten Hennen- Hack-Duell“, aus dem die „Emanzipations-Queen weniger stark gerupft“ als ihre Gegnerin hervorgegangen sei.

Aus Alice Schwarzers Mund klingt das ein wenig anders. „Statt cool-objektiv drüberzustehen und ein Gespräch à la Frühschoppen zu führen, war ich empört, wie Millionen Frauen, und – zeigte das auch. Ich hatte Sachverstand und Gefühl, ich inszenierte diese 45 Minuten nicht nur, ich lebte sie auch. Sehr bewußt und sehr überlegt.“

Sie muß diese Erfahrung genossen haben. Und den anschließenden Erfolg. Sie hat es geschafft! Nun kennt die breite Öffentlichkeit Alice Schwarzer. Von Stund an ist sie für Frau Hinz und Herrn Kunz das Aushängeschild der Frauenbewegung. Zum ersten Mal wird sie als „Deutschlands berühmteste Feministin“ tituliert. Noch zehn Jahre später vermerkt sie stolz: „Und noch im Rückblick, Jahre danach, spricht ein Medienexperte von einem ,wahrhaft homerischen Streitgespräch‘ und ein WDR-Redakteur von ,einer der wenigen originären Sendungen‘ in der Geschichte des Fernsehens überhaupt.“ Doch leider, fügt sie hinzu, habe man ihr danach nie wieder eine vergleichbare Sendung angeboten.

Das Publikum reagiert auf das Fernsehduell gespalten. Der Stern resümiert: „Männer und Muttchen schlugen sich auf die Seite der Vilar, während auf die Schwarzer der geballte Beifall unzufriedener Geschlechtsgenossinnen zukam.“

Diese Frau polarisiert. So wie sie selbst dazu neigt, mit scharfen Gegensätzen zu operieren und Zwischentöne zu vermeiden, spaltet sie auch die Gemüter. Da gibt es nur Freund oder Feind.

Von der Wut, die sie bei Männern auslösen kann, hatte Alice Schwarzer bereits früher eine Kostprobe bekommen. An der Universität Münster, wo sie im Rahmen eines Lehrauftrags im Wintersemester 1974 über den „Stellenwert der Sexualität in der Emanzipation der Frau“ referierte, fühlten die Studenten ihr wichtigstes Anhängsel bedroht. Sie verpaßten ihr den Beinamen „SAS: Schwanz-ab-Schwarzer“.

Die Friedenauer Wohnung ist Alice Schwarzers erstes Quartier seit ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik, das Land, „nach dem ich nie aufgehört hatte, Heimweh zu haben“. Mit ihrem Lebensgefährten Bruno ist sie nicht mehr zusammen. Zu einem Journalisten sagt sie: „Ich komme grad aus einer sehr langen Beziehung, ich weiß, was es heißt, mit einem sanften Unterdrücker zusammenzusein. Männer, das ist im Augenblick nicht mein Problem.“

Für ihren Freund Bruno sei die Trennung „sehr brutal“ gewesen, erzählt Claude Hennequin Guillon, Alices französische Freundin. Auch Christina von Braun, die weiterhin in Paris lebte, bemerkte, daß Bruno unter der Trennung „ungeheuer gelitten hat“. Er habe die gemeinsame Wohnung behalten und Alice noch relativ häufig in Deutschland besucht.

„Mit dieser Rückkehr gab ich ein Hin und Her nicht nur zwischen zwei Ländern, sondern auch zwischen zwei Welten auf“, schreibt Alice Schwarzer und meint den Mentalitätswechsel und die unterschiedliche Rolle, die sie als Feministin hüben und drüben spielt. Doch im Grunde bedeutet der Länderwechsel weit mehr. Die Rückkehr markiert einen Einschnitt in ihrem Leben –- vergleichbar ihrem Aufbruch nach Frankreich, ihrem Entschluß, Journalistin zu werden oder sich der Frauenbewegung anzuschließen.

Als sie mit 32 Jahren in Paris ihre Zelte abbricht, läßt sie auch ihr heterosexuelles Leben hinter sich, und dies ist vermutlich der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrem Mädchentraum von Familie und Kindern verabschiedet. Diese Lebensphase scheint abgeschlossen. Es ist, als hätte sie Frankreich als Zwischenstation gebraucht, um aus dem engen Kokon ihrer Jugend zu schlüpfen und sich nun, flügge geworden, ein ganz anderes, ein neues Leben in ihrer alten Heimat aufzubauen.

Zu diesem Entschluß werden verschiedene Gründe beigetragen haben: der Beruf, die Liebe und wohl nicht zuletzt die deutsche Frauenbewegung. Die kann ein kämpferisches Talent gut gebrauchen, dort läßt sich noch etwas erobern, da lassen sich noch neue Gefährtinnen gewinnen.

Ostern 1975 kommt Claudia Pinl zu Besuch nach Berlin und schreibt später über ihre Begegnung mit Alice: „Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch ihre Freundin kennen.“ Und während Alice „Avocados mit wohlschmeckender Soße servierte“, habe ihre Freundin „stundenlang“ zwei afrikanische Trommeln bearbeitet.

Vom Temperament scheinen Alice Schwarzer und ihre Freundin sehr gegensätzlich zu sein. Ihre damaligen Bekannten schildern Alice als lebhaft, aufgedreht und voll missionarischen Eifers in Frauenfragen, ihre Partnerin als ruhig, selbstbewußt und trotz ihres Humors eher streng. Sie sei ein Lehrerinnentyp, heißt es, intellektueller als ihre Lebensgefährtin und dieser keinesfalls unterlegen. Deshalb sei es kein Wunder, daß zwischen den beiden ab und an kräftig die Fetzen geflogen sind.

Seit einiger Zeit arbeitet Alice Schwarzer an ihrem dritten Buch. Nach den Protokollen zum §218 und denen zur Frauenarbeit soll es jetzt endlich um den „Knackpunkt der ganzen Frauen-Chose“ gehen, um das Thema, das sie schon lange umtreibt – die Sexualität.

Als die WG am Breitenbachplatz den gemeinsamen Hausstand gründet, hatten sich Frauen bereits Freiräume geschaffen und angefangen, eine feministische Gegenkultur zu entwickeln. So gehörte es in der Berliner Szene auch längst dazu, lesbisch zu lieben. Immer mehr Frauen entdeckten die Liebe zum eigenen Geschlecht als Weg zur Selbstverwirklichung. Die einen teilten den Tisch mit einem Mann, aber das Bett auch ab und an mit einer Frau. Die anderen schwenkten von einem heterosexuellen endgültig auf ein homosexuelles Leben um. Die dritten hatten schon immer Frauen bevorzugt und konnten es jetzt ganz offen zeigen. Zwei Zeitungen von und für Lesben waren bereits gegründet: Unsere kleine Zeitung (UKZ) sowie die Lesbenpresse. Und das erste „Frauenjahrbuch“, das auch in diesem bewegten Jahr 1975 erscheint, widmete Lesben ein eigenes Kapitel.

Ähnlich wie die französische hatte auch die deutsche Bewegung sehr bald nach ihrem Aufbruch angefangen, über Homosexualität zu debattieren. Die ersten Schritte machten die Frauen sehr vorsichtig, sehr ängstlich, sehr gehemmt. „Die Reaktion der Gesamtgruppe“, notierte eine lesbische Frau aus dem Rheinland, die versuchte, in ihrer 218-Gruppe ihr Problem anzusprechen, „schwankte zwischen betretenem Schweigen, spöttischem Lächeln und offener Ablehnung. Von der Not, der Betroffenheit wurde kaum gesprochen.“ Und eine andere berichtete: „Es gab fürchterliche Aggressionen. Nichts wurde gelöst in unserer Gruppe. Es wurde nicht darüber gesprochen.“ Ein Jahr lang habe sie ihre „Homosexualität so weggetan“ und dann gemerkt, „die verstehen das überhaupt nicht und wollen das auch gar nicht!“

Frauenliebe war Ende der sechziger Jahre noch ein eisernes Tabu, auch wenn sie nicht durch das Strafgesetz bedroht war. Sie galt als pervers. In diesem Ressentiment waren auch Bewegungsfrauen gefangen. So funktionierte in den ersten Frauengruppen die Stigmatisierung zunächst genau wie sonst in der Gesellschaft.

In der ersten Nummer der Frauenzeitung von 1973 blickten die Lesben aus dem „Frankfurter Weiberrat“ auf ihr mühsames Coming-out zurück. Die Debatten seien „abstrakt, verschroben und scheu bis verklemmt“ gewesen. „Die eigentliche Diskussion, wie wir alle zu unserer Sexualität, unseren Zärtlichkeiten zu Männern und Frauen, auch zu denen, die Frauen lieben, emotional und rational stehen, konnten wir alle nicht diskutieren.“ Das habe sich auch nicht schlagartig geändert, als sich die Lesben von den Heteras absonderten. Selbst die Lesbengruppe habe „wochenlang nicht als Gruppe miteinander reden“ können.

Kein leichter Anfang. Doch bereits 1972 kamen Lesben in Berlin zu ihrem ersten internationalen Pfingst- Treffen zusammen und zeigten sich der Öffentlichkeit. Mit steigendem Selbstbewußtsein wuchs der Machtanspruch. „Frauen, denkt daran: Weibliche Heterosexualität ist heilbar!“ Nur im lesbischen Leben verkörpere sich der wahre und radikale Feminismus: „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxisl“ Die Auseinandersetzungen zwischen lesbischen und heterosexuellen Frauen gehören zu den dramatischen Kapiteln der Bewegungsgeschichte.

Der Standardvorwurf der Lesben an die Heteras hieß: Ihr stabilisiert die Frauenunterdrückung, indem ihr mit den Unterdrückern zusammenlebt.

Der Standardvorwurf der Heteras an die Lesben war eher formaler Natur und lautete: Ihr setzt uns unter Druck, seid elitär, zu radikal und dogmatisch.

Die Vorkämpferinnen der Lesbenfront führten eine symbolische Auseinandersetzung, die heute den Eindruck vermitteln kann, als hätten sie den Spieß der Unterdrückung nur umdrehen wollen. Das führte zu einem aufgeladenen Klima, in dem beide Seiten die jeweiligen Unsicherheiten nur noch schwer zulassen konnten. So stellten manche Lesben weibliche Homosexualität nicht als eine, sondern als die einzige Möglichkeit dar, Sexualität auszuleben.

In dem von Lesben in Berlin gegründeten Selbsthilfeprojekt „Notruf für vergewaltigte Frauen“ wurde der Lesben-Hetera-Konflikt besonders scharf ausgetragen. Denn die homosexuelle Seite operierte mit dem pauschalen Argument: „Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger!“ Auch in der von Mitte der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre existierenden Frauenzeitschrift Courage wurde in dieser Frage hart gestritten. In dem Kollektiv arbeiteten stets viele Lesben, Frauen mit Mann und Kindern hatten eher einen schweren Stand. Es wurden exemplarische Auseinandersetzungen geführt. Und auch völlig absurde. Ein Beispiel: Einmal vergraulten einige Lesben eine Frau aus dem Zeitungsprojekt, die sich den Sannyassin verschrieben hatte und nun, wie unter denen so üblich, sich nicht nur orange kleidete, sondern auch mit der „Mala“ schmückte, an der das Bild des Meisters Bhagwan hing. Die Lesben wollten daraufhin nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten, weil sie „einen fetten Mann um den Hals“ trug.

Totalisierende Gesten, autoritäre Ansprüche – die Bewegung der Feministinnen wurde durch den Lesben-Hetera- Konflikt zermürbt und zerrissen.

Alice Schwarzer wirkt kaum wie eine bange Natur, die fürchtet, sich öffentlich zu exponieren. Sie empfindet Skandale „durchaus als lustvoll“. Die Gefahr, einen bestimmten Skandal zu provozieren, hat sie allerdings vermieden: nämlich den um ihr homosexuelles Leben. Ihre Liebe zu Frauen gehört zu den verborgenen Kapiteln ihres Lebens. Nun aber propagiert gerade Alice Schwarzer über die Jahre: „Nur wenn Frauen Männern privat nicht mehr ausgeliefert sind, nur wenn das Dogma der Vorrangigkeit der Heterosexualität in Frage gestellt wird, haben Frauen die Chance zu einer eigenständigen, nicht mannfixierten Entwicklung.“ (1975) Und: „Den Männern das Monopol aufkündigen und auch Frauen lieben können ist irgendwann Folge eines konsequenten Feminismus.“ (1982) Und: „Ich bin lesbisch? In meinen Augen eher Kompliment als Beleidigung (auch wenn und gerade weil die spalterische, diffamatorische Absicht dabei so unübersehbar ist).“ (1985)

Ihre Berliner Bekannten aber erinnern sich gut, daß Alice Schwarzer großen Wert darauf legte, ihre lesbische Beziehung nicht öffentlich bekanntwerden zu lassen. So hat sie es auch in den Jahren darauf gehalten. Bis in die jüngste Zeit. „Alice“, ärgert sich Claudia Pinl, „versucht ja auf Teufel komm raus zu kaschieren, daß sie lesbisch lebt.“

Warum? In der Frauenszene, in der sie sich in Berlin und anderswo bewegte, hatte sie Diskriminierung nicht wirklich zu befürchten. Dort galt lesbische Liebe geradezu als die bessere Alternative. Rücksichtnahme, wie sie viele Homosexuelle gegenüber ihren Familien praktizieren und sich deswegen nicht zu ihren Gefühlen bekennen, dürfte vermutlich im Umgang mit einer so unkonventionellen Frau wie ihrer Mutter kaum eine Rolle gespielt haben. Auch hatte Alice Schwarzer als freie Journalistin und Autorin keine unmittelbaren Repressionen durch einen Arbeitgeber zu fürchten.

Zu Beginn ihrer feministischen Karriere könnte das Schweigen weniger mit Angst vor Sanktionen als mit kluger Berechnung zu tun gehabt haben. Mitte der siebziger Jahre war Homosexualität – trotz heftiger Diskussionen in der Frauenszene – gesamtgesellschaftlich noch längst nicht akzeptiert. Ein Mordprozeß warf ein deutliches Licht auf die Stimmung im Land.

Seit August 1974 stand ein lesbisches Liebespaar in einer norddeutschen Kleinstadt vor Gericht. Die Frauen wurden beschuldigt, einen Mörder gedungen zu haben, um den Ehemann der einen aus dem Wege zu schaffen. Einen Mann, über den seine Ehefrau aussagte, er habe sie bis zu dreimal täglich vergewaltigt.

Der Prozeß begann, als das patriarchale Selbstbewußtsein durch die anhaltende Frauenrevolte bereits angekränkelt war. Und lesbische Frauen galten als die schlimmsten Frevlerinnen wider die Männlichkeit. „Und so kam es“, schreibt Alice Schwarzer, „daß der Prozeß umfunktioniert wurde: zum Musterprozeß gegen die lesbische Liebe. Es war ein wahrer Hexenprozeß.“

So hatte es sich der Richter nicht nehmen lassen, mit einer „in der deutschen Gerichtsgeschichte einmaligen Anordnung“, wie die Frankfurter Rundschau schrieb, den Sensationsreportern unbegrenzte Fotografiererlaubnis und Anwesenheit bei der Vernehmung der Angeklagten zur Person zuzugestehen. So befand er es „prähistorisch und daher überflüssig“, einen Zeugen zum Zustand der Ehe anzuhören. Die Liebesbriefe der Frauen hielt er allerdings nicht für „prähistorisch“, die ließ er im Gerichtssaal verlesen.

Bild fragte: „Kann die Liebe zwischen zwei Frauen so absolut sein, so endgültig? Oder ist sie krankhaft, nicht normal?“ Bild wußte: „Die Leidenschaft der lesbischen Frauen kann zu den grausamsten Konflikten führen: zu verlassenen Kindern, zerrissenen Ehen, zu aller Art von Unglück, Tötung, Selbstmord, Mord...“ Die Frauenhatz in den Medien war so brutal und perfide, daß sich fast hundertfünfzig Journalistinnen und Journalisten offiziell beim Deutschen Presserat beschwerten.

Am 1. Oktober 1974 wurden die beiden Frauen lebenslang ins Gefängnis geschickt. In seiner Urteilsbegründung meinte der Richter, daß nicht der Ermordete durch sein Verhalten seine Frau zu Ekel und Haß provoziert habe, sondern diese Gefühle der lesbischen Bindung zuzuschreiben seien.

Der Prozeß und das Urteil brachten die gesamte Frauenbewegung so richtig auf die Barrikaden. „An ihrem Fall wird allen Frauen demonstriert, was Männer für weiblich halten, was Männer aus weiblicher Sexualität machen und welche Strafe darauf steht, wenn Frauen auf diese Sexualität pfeifen“, hieß es im „Frauenjahrbuch '75“.

Das gesellschaftliche Klima in dieser Zeit ermunterte also keinesfalls dazu, sich öffentlich als Lesbe zu bekennen. Vor allem, wenn man in dieser Gesellschaft anerkannt werden wollte. Und das wollte Alice Schwarzer verständlicherweise. Sie wollte nicht nur im Binnengewässer der Frauenbewegung schwimmen, sondern auch im großen Meer der gesellschaftlichen Öffentlichkeit.

Das könnten damals ihre guten Gründe gewesen sein, mit der Art ihrer privaten Beziehungen hinterm Berg zu halten. Denn selbstverständlich hat sie das Recht auf ein Privatleben. Und sie ging wohl davon aus, daß sie mit ihrer Mission mehr Menschen erreichen würde, wenn sie sich nicht als Lesbe outete. So bot sie weniger Angriffsfläche und hatte mit weniger Vorurteilen zu kämpfen.

Wahrscheinlich lag sie damit richtig – soweit es ihre Wirkung auf breite Bevölkerungsschichten angeht. Nicht umsonst ist sie die einzige bundesdeutsche Feministin, die weit über das Ghetto der Bewegung hinaus hohes Ansehen genießt.

Bei ihren ersten Gehversuchen auf der großen Bühne der Öffentlichkeit war ihr Stillschweigen also verständlich. Doch – sie ist ein Vierteljahrhundert dabei geblieben.

In diesem Vierteljahrhundert sind Homosexuelle selbstbewußter geworden, und ihre Bewegung hat politische Erfolge erstritten. In einer ausdifferenzierten Medienlandschaft stellt sich Homosexuellen, die Figuren des öffentlichen Lebens sind, verschärft die Frage, ob sie sich öffentlich bekennen. Das ist kein privates, sondern ein politisches Problem.

Das freiwillige Coming-out und auch das unfreiwillige Outing werden von der Homosexuellen-Bewegung als zwei Instrumente betrachtet, die gleichgeschlechtliche Liebe in einer heterosexuellen Gesellschaft präsenter zu machen. Und es gilt als ein Weg für die Betroffenen, sich nicht länger verstecken und verbiegen zu müssen. Doch sehen auch die Befürworter des Outing die Probleme, die sich mit einem solchen Schritt verbinden: Nach wie vor sind die persönlichen Konsequenzen schwer einzuschätzen. Gerade für ältere Homosexuelle kann das öffentliche Bekenntnis massive Ängste vor der Homophobie der Gesellschaft aktivieren. Ihre Generation hat die Ächtung wesentlich drastischer erfahren. Doch bleibt unterm Strich, so die Position der Aktivisten, ein politisches Argument entscheidend: Wer es in der heterosexuellen Welt zu etwas gebracht hat und seine sexuelle Orientierung nicht offenlegt, unterstützt so den üblichen Wahrnehmungsmechanismus, mit dem in dieser Gesellschaft Homosexualität ausgeblendet wird.

Als Alice Schwarzer 1997 in einem Interview gefragt wird, ob ein offener Umgang mit Homosexualität nicht eine ähnlich befreiende Wirkung haben könne wie ehedem die 218-Kampagne, antwortet sie trocken: „Wenn die Betroffenen es für richtig halten zu schweigen, haben sie ihre Gründe. Die Dinge müssen reif sein. Wir haben höchstens die Pflicht, zu einem Klima beizutragen, in dem Homosexualität so selbstverständlich wird wie Heterosexualität.“

Nach so langer Zeit scheinen ihr die Dinge noch immer nicht „reif“. So viel Vorsicht!

Man fragt sich, warum ein gefeierter Medienstar, wie es Alice Schwarzer in den neunziger Jahren ist, so zurückhaltend bleibt. Dies in Zeiten, in denen hämische Schlagzeilen über eine homosexuelle Feministin hoffentlich auf ihre Urheber zurückfallen würden. Schließlich ist diese Gesellschaft gegenüber Homosexuellen tatsächlich liberaler geworden – auch der Frauenbewegung sei Dank.

Alice Schwarzer betrachtet den Entschluß, zu ihrem lesbischen Leben zu schweigen, ausschließlich als ihre Privatangelegenheit. Selbstverständlich hat sie das Recht auf Privatheit wie jede andere. Doch ist ihre Argumentation in diesem Punkt nicht haltbar. Ehemalige Mitstreiterinnen verweisen zu Recht auf eine wichtige Erkenntnis der Frauen- und Lesbenbewegung, die noch immer Gültigkeit beanspruchen kann: daß das Betonen von alternativen Lebensformen – auch in der Liebe und Sexualität – ein Politikum ist. Beispiele dafür sind Cornelia Scheel und Hella von Sinnen, Martina Navratilova und Rita Mae Brown.

Erica Fischer ist eine Pionierin der österreichischen Frauenbewegung und Autorin des Buches „Aimée und Jaguar“, das die Geschichte einer Frauenliebe im Dritten Reich erzählt. Sie kennt Alice Schwarzer, schrieb eine Zeitlang für Emma und stellt unumwunden fest: „Eine Frau wie Alice, die eine derartig öffentliche Person ist, hat die Pflicht, sich als Lesbe zu bekennen. Das ist sie den anderen Frauen schuldig.“ Und Susanne von Paczensky, damals Herausgeberin der Rowohlt-Reihe „frauen aktuell“ und auch eine prominente Feministin, die trotz mancher Meinungsverschiedenheit grundsätzlich die politischen Verdienste Alice Schwarzers betont, sagt zur Frage von deren Homosexualität: „Gerade weil sie eine Galionsfigur für den Feminismus wurde, müßte sie es sich selbst übelnehmen, an so einem wichtigen Punkt nichts gesagt zu haben. Ich habe es eigentlich immer erwartet. Inzwischen hat sie vielleicht den Zeitpunkt verpaßt.“

Für diesen Lebenswiderspruch bei Alice Schwarzer gibt es privat sicher viele gute Gründe. Und doch erklären sie nicht hinreichend die Kluft, die sich gerade in ihrem Fall zwischen gelebtem Leben und propagiertem Programm auftut. Diese Kluft zeigt sich, wenn man einen Blick auf die Glaubenssätze wirft, mit denen die Frauenbewegung angetreten ist – allen voran Alice Schwarzer. Die zentrale Losung lautete: „Das Private ist politisch!“ An diesem Punkt setzen die Grundsatzforderungen der Frauenbefreiung an: Sei es beim Protest gegen den § 218, bei dem der Konflikt um die Kontrolle weiblicher Sexualität und Gebärfähigkeit exemplarisch ausgetragen wurde; sei es bei der Diskussion um unbezahlte Haus- und Familienarbeit, um Vergewaltigung in der Ehe und Gewalt in Beziehungen.

„Das Private ist politisch“ kratzt an den Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft und der Geschlechtertrennung. Denn hier wird das Politische neu definiert. Gerade der Kult um die Privatsphäre hält Frauen in ihrer weiblichen Rolle gefangen – als Ehefrau, als Mutter, als Hausfrau. So will es das ideologische Konzept: Männer gehören in die Welt, Frauen ins Haus. Dann werden die Angelegenheiten der Männer zu öffentlichen, die der Frauen zu privaten. Die berühmte Formel der Frauenbewegung will diese Verhältnisse auf den Kopf stellen: Sie zielt zum einen auf Emanzipation aus Männerherrschaft im privaten Bereich, zum anderen aber auch auf eine Aufhebung der Geschlechtertrennung im politischen Raum.

Alice Schwarzer gehört zu den entschiedenen Verfechterinnen dieser Maxime. Seit Mitte der siebziger Jahre predigt sie in immer neuen Varianten, daß Sexualität nicht nur eine Frage der Intimsphäre ist. In ihrem Fernsehinterview mit Esther Vilar setzte sie sogar noch eins drauf und verkündete: „Es gibt kein Privatleben!“

Noch 1994 provozierte sie mit ihrer drastischen Sicht der Dinge einen Eklat. Anlaß war ihr Buch über den Tod des Politikerpaares Petra Kelly und Gert Bastian. Im Nachwort der Taschenbuchausgabe zeichnet Alice Schwarzer die Auseinandersetzung, die es um den Text gegeben hatte, aus ihrer Sicht nach: „Am meisten empörte diese Söhne, daß ich es gewagt hatte, von der ,Impotenz‘ des Ex-Generals zu sprechen. Genauer gesagt: von der Tatsache, daß er ,zumindest mit ihr (Kelly) nicht mehr konnte oder wollte‘. Der schrille Ton der Anwürfe – Moralismus, Voyeurismus, Wühlen im ,Intimleben‘ – war entlarvend. Das Problem dieser Väter scheint auch das der Söhne zu sein. Auch für die Söhne ist Privatleben wieder ,Privatsache‘, wird Sexualität nicht als Kommunikation und Spiegel einer Beziehung begriffen und werden eigene Ängste kaschiert.“

Soweit Alice Schwarzers Haltung, wenn es um die Sexualität anderer Menschen geht. Daß sie Fragen nach ihrem eigenen Privatleben abwehrt, stellt sich im Licht dieser vehementen Verteidigungsrede als ein Widerspruch dar, den man dieser Frau nicht durchgehen lassen kann. Auf die direkte Frage des Express: „Sind Sie lesbisch?“ beharrt sie 1992: „...kein Wort über mein Privatleben.“

Als Alice Schwarzer 1997 von Amica auf ihre widersprüchliche Haltung angesprochen wird, reagiert sie ähnlich abwehrend:

„Frage: Sie selbst haben Ihr Privatleben immer hübsch unter Verschluß gehalten. Antwort: So soll's auch bleiben. Frage: Warum eigentlich? Einer Ihrer Leitsätze war doch immer, daß das Private politisch ist. Antwort: Die Schamlosigkeit des heutigen Enthüllungsjournalismus hat mit dieser Erkenntnis nichts zu tun. ,Das Private ist politisch‘ meint, daß das angeblich Persönliche gesellschaftliche Ursachen hat. Es meint aber nicht, daß Menschen sich bis aufs Mark der Öffentlichkeit auszuliefern haben.“

Nun kommt aber der politische Anspruch, sich zum lesbischen Leben zu bekennen, aus der Frauenbewegung selbst und ist eine geradezu klassische Forderung. Im „Frauenjahrbuch '76“ etwa wird programmatisch verlangt, daß Lesben den Kampf gegen die patriarchalische Realität „explizit als Lesben führen, daß sie sich in feministischen Kampagnen als Lesben einbringen, denn immer, wo Lesben sich generell als ,Frauen‘ darstellen, tragen sie zu dem gesellschaftlichen Schweigen über Liebe zwischen Frauen bei...“

Alice Schwarzer ist nicht eine beliebige Person des öffentlichen Lebens, von der unbotmäßig verlangt wird, sie solle sich der Öffentlichkeit ausliefern. Denn in ihrem Fall sind öffentliche Rolle und das Thema Sexualität untrennbar miteinander verknüpft – mehr als bei jeder anderen prominenten Frau. Aus ihrer subjektiven Sicht ist es verständlich, daß sie auf ihr Privatleben pocht; schließlich hat sie schon jahrelang den Kopf hingehalten. So ist es sicher strapaziös, auch noch als lesbisches Rollenvorbild dienen zu sollen. Da sie sich ihr Renommee jedoch mit einer radikalen Haltung in sexuellen Fragen erworben hat, weckte sie selbst die Erwartung, daß gerade sie zu ihrer sexuellen Orientierung stehen würde.

Bascha Mika. Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek. 333 Seiten. 39,80 Mark.