Im Teufelskreis des Geldes

Paul Auster ist nicht nur ein Autor, sondern ein Markenzeichen. Sein neues Buch „Von der Hand in den Mund“ ist eine Erinnerung an die Zeit, als er erfolglos und hungrig war. Es geht der Frage nach, warum einer, der an Zufälle nicht glaubt, stets darüber schreiben muß  ■ Von Erhard Schütz

Die frühesten Erinnerungen von Karl Philipp Moritz, Jg. 1756, waren, seinem Roman „Anton Reiser“ zufolge, wechselseitige Verwünschungen der Eltern: Die Mutter wollte in der Abtötung aller Empfindungen nicht ganz so weit gehen wie der Vater. So entstand sein Gefühl, von der Wiege an unterdrückt worden zu sein. Moritz ist dann ein rastloser Autor geworden.

In den Erinnerungen des 1947 geborenen Paul Auster hingegen herrschten von Anbeginn an „Glück und Geborgenheit“, war Sicherheit „Selbstverständliches“. Doch tobte hier ein nicht minder heftiger Streit, der immanente Glaubenskrieg im Kapitalismus, dieser „Religion der Verschuldung“ (Walter Benjamin): der Kampf ums Geld. Austers Mutter „genoß die Rituale des Konsums“, der Vater hingegen war geizig. Der Vater scheint zu obsiegen, indem er die Mutter auch noch vom Einkauf der Lebensmittel ausschließt. Doch dadurch gehen die Eltern endgültig auseinander.

Paul Auster ist ein längst nicht mehr nur kultiger, sondern überaus erfolgreicher Autor. Wer seine Bücher nicht kennt, nicht die legendäre „New York Trilogie“, nicht „Im Land der letzten Dinge“, nicht „Musik des Zufalls“, „Mond über Manhattan“ und nicht „Leviathan“, der kennt die Filme „Smoke“ und „Blue in the Face“, für die er das Drehbuch schrieb. Auster ist so bekannt, daß die Kritik jüngst über „Mr. Vertigo“ mäkeln konnte, es „austere“ darin nicht genügend. Mehr ist zum Mysterium, wie jemand Autor wird, um Helmut Heißenbüttel zu zitieren, „eigentlich nicht zu sagen“.

Doch Paul Auster erzählt ausführlicher von seinem Weg: „Der amerikanische Kapitalismus hatte eine der blühendsten Epochen der Menschheitsgeschichte herbeigeführt. Er hatte unzählige Autos, Tiefkühlgemüse und Wundershampoos produziert“, das Land hatte sich „in eine einzige gigantische Fernsehreklame verwandelt, die uns unaufhörlich zuposaunte: kauft mehr, verdient mehr, verpaßt mehr und tanzt im Reigen um den Dollarbaum, bis ihr alle tot umfallt im Taumel der Raserei, mit den anderen mithalten zu müssen.“ Der junge Paul entdeckt in der Zeitschrift Mad eine Form des Protests, indem man sich darüber lustig macht. Aber auch den Protest muß man kaufen. Bald kommt er ans Schreiben. Und erst damit scheint er aus dem Teufelskreis des Geldes auszutreten, denn er ist ein erfolgloser, unbekannter, ungeschickter und ungedruckter, hungernder, permanent der Katastrophe naher Schriftsteller. So jedenfalls sieht er sich. Doch damit geht es schon wieder nur noch um das eine: ums Geld.

Paul Austers neuestes Buch, „Von der Hand in den Mund“, trägt den Untertitel „Eine Chronik früher Fehlschläge“. Ein dann doch Erfolgreicher ist sich selbst historisch geworden und forscht einmal mehr dem amerikanischen Wunder nach, wie aus einem literarischen Laufjungen ein schreibender Krösus wurde. Wie Austers Buch beginnt, ist man auf die Parodie des Genres der Selfmade-Legende gefaßt. Doch wäre Auster kein Amerikaner, wenn das nicht über Sentimentalität und Nostalgie ginge. Das Ende ist wie in allen noch so bösen Hollywood-Filmen: Es wendet sich zum Guten. Paul Auster, der zuvor auch unter anderen Namen, die wir aus seinen Romanen kennen, erfolglos war, der Autor Paul Auster ist nun Paul Auster das Markenzeichen. Das Ende steht natürlich von Anfang an fest. Im Buch hingegen bleibt es einstweilen beim Mißerfolg, der Mäßigkeit. Sein Krimi, über dem der Verlag pleite ging, kommt schließlich als Taschenbuch heraus und erzielt einen Reingewinn von ganzen 900$.

Aber damit ist das vorliegende Buch noch nicht zu Ende, denn jetzt bekommt der Leser mehr für sein Geld. Es folgen nicht weniger als drei Theaterstücke, die Gebrauchsanweisung zu einem von ihm erfundenen Kartenspiel, mit dem man Baseball imitieren kann – und besagter Krimi. Das erweitert die 150 Seiten Erinnerungen auf 511 Seiten Buch. Dahingestellt, ob es sich um eine Parodie aufs Happy-End handelt oder um einen Gimmick, mit dem es sich rechnen soll. In jedem Falle ist es ein weiteres Stück Selbstverausterung. Es ist vom frühen Auster, und es sind bereits die Auster-Themen. Schon immer hat Paul Auster seine Biographie zumindest mit verarbeitet, Vatersuche und Hungerängste, Obsessionen mit dem Zufall – und immer wieder die Konjunkturen des Geldes. Schon länger hat er für Wiederauflage gesorgt. Bereits 1990 erschien „Ground Work“ mit den frühen Gedichten und Essays, und das „Rote Notizbuch“ enthielt 1996 die Sammlungen von Zufällen, die ihn an Zufall nicht mehr glauben lassen. Ebenso kann man den direkt autobiographischen Text nun lesen. Er erzählt vom unablässigen Auf und Ab im scheinbar dauernden Ab, von der Suche nach einer eigenen Bestimmung, Frankreichreisen und der Arbeit auf einem Öltanker, Schreiben in allen Genres zwischen Übersetzen und Ghostwriten, Kartenspiel und Krimi. Das ist, trotz aller Beteuerungen, wie gefährlich es manchmal war und wie schlecht es ihm dabei ging, nicht übermäßig aufregend. Lesenswert ist es vor allem wegen der offenbar unbändigen Lust, der menschlichen Vielfalt ansichtig zu werden, wegen der vielen kleinen, meist kuriosen Geschichten von Personen, die Auster darin aufblitzen läßt. Das tröstet darüber hinweg, daß die Suche nach dem Grund des Schreibens in der Erinnerung an den Mißerfolg nicht sonderlich tief schürft. Aber vielleicht braucht sie das auch nicht. Vielleicht liegt der Grund auf der flachen Hand: 1965 hatte Auster dem New Yorker die Frage „Why write?“ mit einem Bündel von Anekdoten merkwürdiger, unglaublicher Zufälle beantwortet. Vielleicht ist es einfach das: daß einer in den Zufällen nicht an den Zufall glaubt, jedenfalls nicht den, daß er es ist, der darüber schreiben muß.

Paul Auster: „Von der Hand in den Mund. Eine Chronik früher Fehlschläge“. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 511 Seiten, 42 DM