■ Der Hutu-Tutsi-Konflikt in Ruanda, Burundi und Kongo ist lösbar. Die Mörder isolieren – das fordert der EU-Beauftragte Aldo Ajello: „Europa hat in Afrika Chaos gesät“
taz: In Zentralafrika droht eine Explosion der Gewalt. Vor allem in Ruanda verschärft sich die Lage. Was läßt sich dagegen unternehmen?
Aldo Ajello: Die Ursprungsidee in Ruanda war, daß es weder Frieden noch Versöhnung geben kann, solange der Völkermord eine offene Wunde bleibt. Aber kann man das Problem des Völkermordes juristisch lösen? Kann man 130.000 Leute vor Gericht stellen? Seit zwei Jahren sagen wir der ruandischen Regierung, daß sie einen anderen Weg beschreiten muß. Die Organisatoren des Völkermordes haben die ganze Gesellschaft zu Mittätern gemacht, um sich selber zu schützen. Also muß man sie von den Mittätern trennen und diese als Opfer behandeln. Zuerst hat man uns als Häretiker bezeichnet. Aber im Januar hat Ruandas Vizepräsident Paul Kagame vor dem Europaparlament explizit von dem von uns vorgeschlagenen Weg gesprochen. Das ist ein wichtiger Schritt.
Aber vorerst wird die Lage in Ruanda immer schlechter. Es wird nicht einfach sein, die Völkermörder zu isolieren – es scheint eher so, als verliere die Regierung an Unterstützung.
Die Lage erfordert zwei Antworten. Eine politisch-juristische Lösung des Völkermordproblems und eine Kontrolle der Armee, die zu Exzessen im Kampf gegen die Hutu-Rebellen neigt. Danach erst kann man zur Phase der nationalen Versöhnung übergehen. Man kann nicht die jetzige Lage bestehen lassen, wo es Bürger erster und zweiter Klasse gibt.
Fürchten Sie, daß Ruanda den Weg Burundis geht, wo der Konflikt zwischen Tutsi-Armee und Hutu-Rebellen älter und generalisierter ist?
Ruanda kann sich leicht „burundisieren“. Aber was ist die Lösung für beide Länder? Die Tutsi in beiden Ländern sind zutiefst verunsichert. Sie werden leicht Opfer einer Propaganda, die ihr einflüstert, sie müßten 100 Prozent der Macht behalten, um zu überleben. In Burundi ist dies die herrschende Logik. Man muß eine Alternative vorschlagen: Verfassungsgarantien, die der Realität des Landes angepaßt sind und es jedem ermöglichen, sich in Sicherheit zu fühlen. In Burundi kann eine Verfassung nicht auf dem Prinizip der Mehrheitsherrschaft aufbauen, sondern auf einem Mechanismus des Gleichgewichts.
Was sagen Burundis Tutsi dazu?
Es gibt in Bujumbura eine Gruppe von Tutsi-Parteien, die als extremistisch gelten, und ich bin ihr Liebling geworden. Nur die, die überhaupt nicht verhandeln wollen, sind dagegen.
Und Präsident Pierre Buyoya?
Buyoya ist ein schwer zu definierendes Wesen. Wenn man mit ihm redet, stimmt er einem zu. Aber mit einer solchen Lösung verschwindet das Argument „Wir oder die Extremisten“, womit die derzeit Herrschenden ihren Machterhalt begründen. Man findet dort also wenig Freunde. Um zu vermeiden, alle Tutsi gegen sich zu haben, muß die Verfassung von 1992 verändert werden, damit Verfassungsgarantien nicht mehr proportional zum numerischen Wahlerfolg sind.
Wie reagieren die Hutu-Gruppen darauf?
Sie haben die numerische Mehrheit, und daher ist es schwer für sie, einen Mechanismus anzuerkennen, der dieses Element nicht beinhaltet. Aber die Leute, mit denen ich rede, sehen, daß sie für Frieden einen Preis zahlen müssen. Sie haben ja erfahren, daß die numerische Überlegenheit nicht genügt, um die Macht zu behalten.
Also ist eine politische Lösung des Hutu-Tutsi-Konflikts in Sicht?
Ich glaube ja. Diese Überlegungen sind Teil eines Denkprozesses in der EU über die Zukunft der Demokratisierung Afrikas. Lange hat man den afrikanischen Ländern Fertigmodelle verkauft. Man hat gesagt: Bildet Parteien, haltet Wahlen ab, der Wahlsieger regiert, der Wahlverlierer macht Opposition. So hat man in Afrika Chaos gesät – vor allem in Burundi. Ich habe in der EU Vorschläge vorgelegt, zusammen mit afrikanischen Regierungen einige Grundsätze zu formulieren, die den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur definieren: das Recht der Völker, ihre Führer selbst zu wählen, Gewaltenteilung und Respektierung der Menschenrechte. Ist das einmal klar, ist es egal, ob ein System von Mehrheit und Opposition entsteht oder eines von Konsens und Machtteilung.
Also muß Europa Anthropologie betreiben?
Aber sicher. Die Europäer haben wie die Amerikaner die Tendenz, zu denken: Was für uns gut ist, ist für alle gut. Aber sogar die Amerikaner stellen sich Fragen. Und die Afrikaner, mit denen ich rede, sind begeistert, obwohl man mit einigen von ihnen Probleme haben wird. Ich bin nun dabei, eine alte Idee wieder aufzugreifen: eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im „Afrika der Großen Seen“, so ähnlich wie die KSZE in Europa. Sie könnte den Rahmen für eine Diskussion über eine neue Partnerschaft mit der neuen Generation afrikanischer Führer bilden. Yoweri Museveni in Uganda, Meles Zenawi in Äthiopien, Isaias Afeworki in Eritrea oder Paul Kagame in Ruanda sind keine Superdemokraten, aber sie haben Ideen, und man muß sich mit ihnen auseinandersetzen.
In dieser Aufzählung haben Sie Laurent-Désiré Kabila nicht genannt.
Ich bin für einen viel engagierteren Dialog mit Kabila. Das Land braucht eine Regierung, in der die Bevölkerungsmehrheit sich wiedererkennt. Nur so kann man das Aufblühen einer Guerillabewegung verhindern. Vorsicht: Diese Bewegung wird wachsen! Denn zur Zeit hat Kongo eine Minderheitsregierung, die keine politischen Freiräume gewährt. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Mobutisten versuchen, die Regierung zu destabilisieren. Es gibt jede Menge williger Söldner und Waffen. Man müßte diese Leute identifizieren und ihnen Möglichkeiten zur Demobilisierung bieten.
Hoffen Sie, Kabila von der Notwendigkeit einer politischen Öffnung zu überzeugen?
Wer Hoffnungen hegt, geht das Risiko von Enttäuschungen ein. Lieber sollte man das Mögliche tun. Ruanda und Uganda begannen 1996 die Operation Kabila im damaligen Zaire, um der Region Sicherheit und Stabilität zu bringen. Sie entledigten sich der Hutu- Flüchtlingslager. Das Endergebnis heute ist negativ, es gibt keine Sicherheit in Ruanda und keine Stabilität in der Region. Eine militärische Lösung ist also nicht möglich. Man muß Kabila und seine Regierung dazu bringen, politisch zu denken. Interview: François Misser
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