Die Mullahs bekommen es schriftlich

Elf Monate nach dem Urteil im Mykonos-Prozeß gibt es die Begründung auf Papier. Irans Führung und Geheimdienstkoordinator Schmidbauer werden sich ärgern  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Na, dann Prost Neujahr! Rechtzeitig zu Norus, dem iranischen Neujahrsfest, legte das Berliner Kammergericht die schriftliche Begründung seines Urteils im Mykonos-Prozeß vor. 395 gebundene Seiten erhielten am Donnerstag abend die Prozeßbeteiligten, und auch der Süddeutschen Zeitung gelang ein Blick in das Dokument deutscher Rechtsgeschichte.

In dem Wälzer steht, was der Vorsitzende Richter Frithjof Kubsch bereits vor elf Monaten bei der Urteilsverkündung erklärte und was man in Teheran und Bonn am liebsten ungesagt gemacht hätte: Der Auftrag für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ im September 1992 kam von der Spitze der iranischen Staatsführung. Ursache für das Gemetzel seien mitnichten, wie von iranischer Seite behauptet, „Meinungsverschiedenheiten oppositioneller Gruppen untereinander“, sondern: „Das Attentat ist vielmehr durch die Machthaber des Iran ins Werk gesetzt worden“, schrieben die Richter. Irans Führung lasse ihre politischen Gegner „um der reinen Machterhaltung willen liquidieren“. Zuständig für Morde im Ausland sei ein „Komitee für Sonderangelegenheiten“, dem unter anderen „der Staatspräsident, der Minister des Geheimdienstes VEVAK, der für die Außenpolitik zuständige Chef sowie Vertreter des Sicherheitsrates und anderer Organisationen und schließlich der Revolutionsführer“ angehörten.

Vor allem die Nennung des letzteren hatte nach der Urteilsverkündung in Teheran Empörung ausgelöst. Weil sich Revolutions- und Religionsführer Ali Chamenei persönlich beleidigt fühlte, wurden die offiziellen deutsch-iranischen Beziehungen praktisch storniert, Bonns Botschafter Horst Bächmann in Teheran zur persona non grata erklärt. Der „kritische Dialog“ verstummte.

Im vergangenen November war dann genug Gras über die Affäre gewachsen. Bächmann durfte zurück an seinen Arbeitsplatz, und auch sein iranischer Counterpart Hossein Moussavian fand sich wieder in Bonn ein. Die anstehende schriftliche Urteilsbegründung aus Berlin würde diese Ruhe erneut stören, befürchtete man seither im Bonner Auswärtigen Amt. Doch bis gestern ließ sich in Teheran offiziell niemand aus der Neujahrsfeststimmung bringen. Lediglich ein Sprecher des Außenministeriums wurde vorgeschickt, um zu erklären, das Berliner Urteil sei „vorurteilsvoll und als eine politische Propagandashow juristisch wertlos und daher inakzeptabel“.

Cool bleiben heißt bisher auch die Devise bei Kohls Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer. Der hatte sich noch nach dem Mykonos-Anschlag mit Irans damaligem Geheimdienstminister Ali Fallahian getroffen und behauptet, dieser habe ihm zugesagt, auf deutschem Boden keine Aktionen durchzuführen. Diese Erklärung sei unerheblich, urteilen die Berliner Richter. Schließlich habe sie „zum Inhalt, daß sich der Iran vorbehält, solche Aktionen andernorts tatsächlich auszuführen“.