Grüne kämpfen tapfer gegen jede Stimme

■ Auch das noch: Grüne Tourismusexpertin empfiehlt Deutschen eine Flugreise alle fünf Jahre. Fraktionschefin Kerstin Müller: „Ökodiktatur“. Einig über Kerosinsteuer

Berlin (taz) – Baden an der Nordsee, Wandern in den Alpen – beschauliche Urlaubstips geben die Grünen für den kommenden Sommer. Als Reisemittel favorisiert Halo Saibold, tourismuspolitische Sprecherin der Partei, die umweltschonende Bahn. Eine Flugreise nach dem Süden kommt künftig kaum mehr in Frage. „Es reicht vollkommen aus, wenn die Deutschen nicht jedes Jahr, sondern nur alle fünf Jahre eine Urlaubsreise mit dem Flugzeug machen“, erklärte Saibold gestern in der Bild am Sonntag.

Die Parlamentarierin begründet ihre Forderung mit den umweltschädigenden Folgen des Fliegens und beruft sich auf einen entsprechenden Parteitagsbeschluß. Über die Höhe der Kerosinsteuer wurde allerdings keine Aussage getroffen. Saibold erwägt, den gleichen Steuersatz wie für Autobenzin zu erheben; somit würde sich Kerosin schlagartig auf den vierfachen Preis verteuern. Ein Ticket nach Mallorca käme 130 Mark mehr, eine Reise nach Bangkok würde 900 Mark teurer.

Gegenüber der taz verteidigte Halo Saibold ihre Idee vom innerdeutschen Urlaub. In der hiesigen Tourismusbranche seien zwei Millionen Arbeitsplätze gefährdet, „denen steht das Wasser bis zum Hals, das muß man auch mal sehen“. Solche Sätze lassen der grünen Fraktionssprecherin Kerstin Müller den Atem stocken: „Furchtbar. Ein solcher ökodiktatorischer Ton ist sehr kontraproduktiv“, sagte sie der taz. „Mit solchen Gedanken will ich nicht in einen Topf geworfen werden.“ Die Fraktion müsse jetzt eine „ganz ernste Debatte“ darüber führen, wie die Partei sich im Wahlkampf zu Umweltthemen äußern solle. „Wir können die Debatte nur gewinnen, wenn wir geschlossen bleiben“, sagte Müller. Nicht die Frage sei wichtig, wie häufig man fliegen dürfe, sondern, welche Alternativen zum Fliegen bestünden.

Auch ihr Parteikollege Ludger Volmer rang um Fassung: „Solche Ideen schaden uns. Aber schaden tut in Wahlkampfzeiten alles, weil die Presse uns nicht gehört.“ Ist Halo Saibold der Stimmungsmache einer Springer-Publikation erlegen? „Quatsch“, sagt sie. Daß sie mit ihren Verzichtsappellen der Partei in Zeiten des Wahlkampfs schaden könnte, sieht sie nicht: „Wir können die ökologischen Schäden durchs Fliegen nicht länger hinnehmen.“

Nach der unglücklichen Vermittlung der schrittweisen Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark manövrierten sich die Grünen binnen einer Woche abermals ins politische Abseits. Ihr Fraktionsvorsitzender Joschka Fischer muß es schon am Samstag geahnt haben. „Wir sind nicht gerade die Kommunikationsweltmeister“, sagte er.

Nun läßt die Partei erklären, warum die Erhöhung des Autobenzins sein muß und was es mit der Kerosinbesteuerung auf sich hat. Verärgerte Wähler finden telefonisch Trost beim Landesverband Baden- Württemberg. „Schadensbegrenzung“, sagt Schatzmeister Harald Dulderer dazu. Gestern war in den vier Sonderleitungen „die Hölle los“, aber, so Dulderer, „im persönlichen Gespräch machen wir sehr gut Punkte“. Die Grünen können's gebrauchen. Auf die Sonntagsfrage antworteten gestern nur noch sieben Prozent der Befragten, sie würden die Grünen wählen. Im Februar lag der Wert noch bei zehn Prozent. Annette Rogalla

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