Abgeschoben in die Terrorgebiete

Trotz der gespannten Lage in der serbischen Provinz Kosovo setzt Deutschland die Abschiebungen fort. Die Rückkehrer trauen sich vor Angst kaum aus dem Haus. Ihre Familien wissen nicht, wovon sie leben sollen  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Esat hat seine dunklen Haare modisch zu einem Zopf gebunden, die sportliche Kleidung hebt ihn ab von der Umgebung, in die er unfreiwillig aus Dortmund zurückgekehrt ist. In dem Haus seines Vaters sitzt die Familie stumm um den Ofen des Zimmers, das ihm vertraut geblieben und doch auch etwas fremd geworden ist. Die Familie lebt in einem kleinen Dorf in der serbischen Provinz Kosovo.

Esat ist nicht jemand, der sich leicht beklagt. Aber seine Stimme zittert, als er berichtet, wie er, ein Kosovo-Albaner, am 27. Februar um fünf Uhr morgens von der Polizei aus dem Bett geholt wurde. Seine deutsche Freundin konnte ihn nur noch umarmen. Dann wurde der 25jährige abgeführt und direkt zum Flughafen nach Düsseldorf gebracht.

In dem Warteraum empfingen ihn schon vier serbische Polizisten in Zivil. Sein Gepäck wurde durchsucht. Sonst geschah nichts. Vielleicht auch, weil sich einer der Beamten während des Fluges mit ihm über Fußball unterhielt. Die Solidarität unter Fußballfans bewahrte ihn möglicherweise vor Schlimmerem. Einigen anderen der 120 an diesem Tag im gleichen Flugzeug abgeschobenen Kosovo-Albaner wurde Geld abgenommen. Angeblich, um den Flug zu bezahlen, der sie zwangsweise nach Priština brachte. Zwei der Männer seien nach der Ankunft verhaftet worden, sagt Esat. Niemand weiß, wo sie geblieben sind.

Erst während des Fluges wurde Esat klar, was geschehen war. Drei Wochen vorher hatten er und seine Freundin sich entschlossen zu heiraten. Die Ausländerbehörde wußte davon. Auch der deutsche Polizist, der ihn zum Flughafen brachte. „Es gibt genug junge Männer, die sich um deine Freundin kümmern können“, gab er ihm höhnisch lächelnd noch mit auf den Weg. Daß diese seither alle Hebel in Bewegung setzt, um ihm zu helfen, ist für Esat ein großer Halt. „Sie muß jetzt wohl hierherkommen, wir werden hier heiraten. Dann sehen wir weiter.“

Hier, das ist ein kleines Dorf am Rande eines Kohlentagebaugebiets ganz in der Nähe der eingeschlossenen Region Drenica. Die Dörfer Likošan und Qirez, wo am 28. Februar und am 1. März 25 Menschen, darunter eine schwangere Frau und ein Mann, der ebenfalls kürzlich abgeschoben war, von serbischen Sondereinheiten ermordet wurden, die Region also, wo die „Polizeiaktion gegen den albanischen Terrorismus“ begann, liegen gerade acht Kilometer von hier entfernt. Seither zucken Esats drei Brüder, die Schwester, die Eltern bei jedem Motorengeräusch zusammen. Handelt es sich um serbische Polizei, die in das Dorf gekommen ist?

Esats Vater schweigt. Er habe nichts zu sagen. Seit er im September 1990 mit drei seiner Brüder wie alle anderen albanischen Arbeiter als Grubenarbeiter entlassen wurde, ist er kaum noch zu einem Lächeln zu bewegen. Die kleine Landwirtschaft reicht für die Familie nicht aus. Acht Hektar ihres Landes habe zudem die Bergbaugesellschaft der Familie ohne Entschädigung weggenommen, um im Tagebau „unsere schwarze Kohle wegzuholen“.

Der Familie ging es schlecht. So entschloß sich Esat 1993, nach Deutschland zu gehen, das geplante Studium konnte er ohnehin nicht beginnen, war die Universität in Priština doch von Albanern „gesäubert“ worden. Auf abenteuerlichen Wegen gelangte er über die deutsche Grenze. Von deutscher Polizei gefaßt, kam er ins Gefängnis. Weil es einem Mithäftling gelang, amnesty international zu informieren, kam er nach einigen Tagen wieder frei. Und konnte bleiben. Schließlich, in Dortmund, wurde 1995 sein Asylgesuch abgelehnt, er erhielt aber Duldung. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, arbeitete schließlich fest in der Spenglerei eines Fußballfans. Und schickte soviel Geld wie möglich nach Hause.

So wie auch Avni und Mehmet. Auch diese beiden jungen Männer, die in einem Nachbardorf wohnen, waren 1993 nach Deutschland und in die Schweiz gegangen. Weil damals noch der Militärdienst in der serbischen Armee drohte. Ihr Fluchtweg führte über Italien und Frankreich. Der eine kam nach Helmstedt, der andere nach Zürich. Auch sie haben Asylanträge gestellt, die schließlich abgelehnt worden sind. Auch sie versuchten, ihren Familien zu helfen, die in einer ähnlichen Lage sind wie die von Esat. Und auch sie wurden abgeschoben, der eine im Mai, der andere im Dezember letzten Jahres.

Für Mehmet kam hinzu, daß er dringend der psychiatrischen Behandlung bedarf. In Zürich hatte er schon einen Psychiater gefunden, der ihm helfen wollte. Vielleicht war dies der Grund, warum er gehen mußte. Er weiß es nicht. Er weiß nur, daß er in seiner Heimat keine Hilfe bekommen kann. Es gibt zwar albanische Privatärzte, doch keine Psychiater.

Freimütig sprechen Avni und Mehmet darüber, daß viele junge Männer im Ausland auf die schiefe Bahn geraten. Losgelöst von der Kontrolle durch die Großfamilie, perspektivlos, ohne Arbeit und Geld, bildeten manche Cliquen, die in die Kriminalität abglitten. Der Druck, Geld nach Hause zu schicken, tue ein übriges. Avni und Mehmet äußern Verständnis für jene, die Kriminelle in ihrem Land nicht dulden wollen. „Aber rechtfertigt das, solche Leute der serbischen Polizei auszuliefern?“

Ismet, der in einem Nachbardorf lebt und aus München abgeschoben wurde, weiß aus eigener Erfahrung sehr gut, daß die Kriminalität unter den Kosovo-Albanern zu Aggressionen in der deutschen Gesellschaft gegenüber dieser Flüchtlingsgruppe geführt hat. Obwohl er selbst sich nichts hat zuschulden kommen lassen, wurde seine schwangere Frau indirekt Opfer dieser Haltung. Sie hat bei der Abschiebung ihr Kind verloren und liegt jetzt im Hinterzimmer des kleinen Anwesens der Familie. Ihr geht es schlecht, sie hat viel Blut verloren.

„Die Ärztin in Fürstenfeldbruck erklärte meine Frau für flugtauglich“, sagt Ismet. „Wenn alle Schwangeren hierbleiben könnten, dann würde wohl niemand gehen müssen“, habe sie gesagt. Als eines morgens Ende Februar um fünf Uhr früh die Polizei kam, als sie ihre Sachen zusammenpacken mußten – 20 Kilo pro Person –, bat er die Polizisten inständig, von der Abschiebung abzusehen. „Wenn es nur um mich gegangen wäre, ich hätte das hingenommen, aber es ging um meine Frau.“ Er wußte, daß die Aufregungen und der Flug für die Schwangere gefährlich waren. Die deutschen Polizisten hätten sich entschuldigt, sie täten nur ihre Arbeit, ihnen gefiele es auch nicht, daß sie die Abschiebung nun erzwingen müßten. Sie hätten eben den Befehl dazu erhalten. „Wenn die Ärztin anders entschieden hätte, könnten Sie ja bleiben“, sagte einer der Polizisten.

Auf dem Flughafen waren schon achtzig andere Kosovo-Albaner eingetroffen, vor allem Männer. Manche wurden in Handschellen hereingebracht. „Dann untersuchten die deutschen Beamten das Gepäck. Auch die Tasche meiner Frau, wo sie ihren Schmuck und andere persönliche Sachen aufbewahrt hatte. Die Beamtin hat ihr versprochen, sie erhielte die Tasche im Flugzeug zurück. Sie ist bis heute verschwunden.“ Zwölf serbische Zivilisten nahmen in der Wartehalle des Flughafens München die abgeschobenen Kosovo- Albaner in Empfang.

Der Flug wurde zum Trauma für das Ehepaar. Schon vor der Ankunft in Priština ging es der im dritten Monat Schwangeren sehr schlecht. Kaum zu Hause angekommen, verlor sie trotz der Hilfe eines Arztes aus der Umgebung ihr Kind. „Das ist das Schlimmste“, sagt Ismet. Doch auch alles andere sei schwer zu ertragen.

1993 hatte er aus dem Kosovo fliehen müssen. Er hatte als Mitglied einer Menschenrechtsgruppe die Übergriffe der serbischen Polizei in seinem Dorf und den Dörfern der Umgebung dokumentiert. „Der Druck nahm zu, ich konnte nicht mehr bleiben.“ Es gelang ihm über einen Bruder, in München Fuß zu fassen. 1995 holte er seine Frau nach. Er hatte Arbeit, sie hatten eine Wohnung, sie führten ein geregeltes Leben, waren von den Deutschen angenommen. „Die Chefin hat geweint, als sie sah, wie wir von den Polizisten abgeführt wurden“, sagt Ismet.

Niemals hätte er Sozialhilfe in Anspruch genommen. Sein Bruder, der aufenthalts- und arbeitsberechtigt ist, habe zudem gegenüber den Behörden eine Garantie für die Familie abgegeben. „Im Asylverfahren wurden wir dennoch abgelehnt. Schauen Sie sich um, sagen Sie, daß hier in unserer Heimat niemand in Gefahr ist!“

Das Dorf liegt drei Kilometer von der abgesperrten Zone in Drenica entfernt. Die Menschen leben in Angst, seitdem die Bewohner der Nachbardörfer Likošan zur Flucht gezwungen wurden. Nur die Männer irren noch in den Wäldern umher und versuchen, durch gelegentliche Besuche ihre Anwesen zu sichern. In Prekaz sollen Scharfschützen auf alles schießen, was sich bewegt. Das berichten zwei junge Männer, die in das Dorf Ismets gekommen sind. Sie wanderten nun schon seit zwei Wochen ziellos in dem Gebiet herum, würden da und dort eingeladen, bekämen etwas zu essen, dann zögen sie weiter. „Trotz der eisigen Kälte. Wir wollen die anderen Familien nicht gefährden.“

Noch ist der Sperrbezirk nicht auf das Dorf Ismets ausgedehnt. Trotzdem verläßt er das Haus nicht. Die Familie weiß nicht, wovon sie leben soll. Ismet hatte ja die Großfamilie unterstützt. In den vier Häusern, die eng zusammenliegen, leben über zwanzig Menschen. Ein bißchen Vieh besitzen sie, einige Hektar Land sind zugunsten einer Metallgesellschaft enteignet worden. „Wie es weitergeht, wissen wir nicht.“ Vor allem versteht Ismet nicht, daß die deutschen Behörden hinsichtlich der Abschiebungen mit den serbischen zusammenarbeiten, mit jenen also, die das „ganze Elend“ erst verursacht haben.

Indem serbische Beamte auf deutschen Flughäfen aktiv sein dürfen, wird dem Regime in Belgrad ganz offen die Legitimität zugestanden, über das Schicksal der Rückkehrer zu entscheiden. Obwohl Deutschland im Rahmen der Kontaktgruppe in die Verantwortung genommen ist, zu einer politischen Lösung des Kosovo-Konflikts beizutragen, ist mit dem deutsch-jugoslawischen Abkommen über die Rückkehr der 230.000 kosovo-albanischen Flüchtlinge, vor allem aber durch die beschriebene Praxis, eine politische Entscheidung über die Zukunft des Kosovo präjudiziert. „Wir Albaner, wir haben keine Rechte“, kommentiert der politische Flüchtling Ismet knapp.

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