EU-Kommission verteilt gute Noten

Zwar haben die elf Euro-Teilnehmerländer längst nicht alle Kriterien des Maastrichtvertrags erfüllt. Aber die Währungsunion soll dennoch 1999 beginnen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Mit großer Nachsicht hat die EU-Kommission in Brüssel der Bundesrepublik die Euroreife bescheinigt. Zwar hat Bonn als einzige EU-Regierung seine Staatsschulden 1997 nicht abgebaut, sie sind seit 1995 sogar von 58 Prozent auf 61,4 Prozent gestiegen. Laut Maastrichter Vertrag dürfen die Staatsschulden 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nur dann übersteigen, wenn sie „hinreichend rückläufig“ sind. Aber das könne man ausnahmsweise durchgehen lassen, meinte ein Sprecher der EU-Kommission. Es sei mit den Lasten der deutschen Vereinigung zu rechtfertigen. Ohne diese Sonderausgaben wäre Deutschland deutlich unter der geforderten 60-Prozent-Schwelle geblieben.

Auch mit den Schulden der anderen EU-Länder ging die EU- Kommission überaus wohlwollend um. Obwohl neun Regierungen mehr Schulden haben, als Waigel eigentlich erlauben wollte, erfüllten mit Ausnahme Deutschlands alle das Kriterium der „hinreichenden Rückläufigkeit“. Mit anderen Worten: Sie haben den Schuldenberg reduziert. Von Belgien und Italien, die immer noch mit mehr als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschuldet sind, ließ sich die EU-Kommission bereits vor Wochen schriftlich zusichern, daß weiter drastisch gespart wird. Spätestens 2003 müßte die 100-Prozent-Marge unterschritten werden. Bei den übrigen Hürden, die der Maastrichter Vertrag vor die Währungsunion gesetzt hat, bescheinigte die EU-Kommission den elf Euroländern „glänzende Ergebnisse“. Die Haushaltsdefizite seien auf die geforderten 3 Prozent und darunter gesunken, die Inflationsraten lägen auf dem historischen Tiefstand von 1,6 Prozent, die langfristigen Zinsen bei lediglich noch 5,9 Prozent. „Das übertrifft die optimistischsten Erwartungen“, lobte EU-Kommissionspräsident Jacques Santer.

Nur Griechenland hat die meisten Bedingungen erwartungsgemäß nicht geschafft. Großbritannien, Dänemark und Schweden wollen bei der Währungsunion vorerst nicht mitmachen. Wie seit Wochen vermutet, empfiehlt die EU-Kommission deshalb, die Währungsunion am 1.1. 1999 mit elf Ländern zu beginnen: Deutschland, Frankreich, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Italien, Spanien, Portugal, Irland und Finnland. Die endgültige Entscheidung fällen die 15 Staats- und Regierungschefs der EU am 2. Mai bei einem Sondergipfel in Brüssel.

Überraschend milde hat auch das Europäische Währungsinstitut in Frankfurt gestern die Stabilitätsanstrengungen der EU-Regierungen beurteilt. Der Bericht des EWI, an dem auch der Deutsche- Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer mitschrieb, war mit Spannung erwartet worden, weil im EWI die monetaristischen Hardliner weitgehend unter sich sind. Während bei der EU-Kommission von vorneherein angenommen wurde, daß sie an einer möglichst großen Währungsunion interessiert ist, genießt das EWI den Ruf als strenge Kontrollinstanz. Doch das Frankfurter Währungsinstitut kam im wesentlichen zu denselben Einschätzungen wie die EU-Kommission, machte aber kleinere Einschränkungen. So seien in den meisten Ländern weitere „entschlossene und nachhaltige strukturelle Korrekturmaßnahmen erforderlich“, um die Stabilität des Euro- Geldes zu sichern. Ausdrücklich erwähnt wurde dabei auch Deutschland, das seinen Schuldenstand zügig abbauen müsse.

Doch die Ermahnungen des EWI waren ohnehin erwartet worden. Notenbankchefs sind mit den Sparbemühungen der Regierungen nie zufrieden. Überraschend war eher, daß das EWI trotz der Einschränkungen so klar signalisierte, daß es mit allen elf Euroteilnehmern einverstanden ist. Vom Bericht der Deutschen Bundesbank, der am Freitag in Frankfurt vorgelegt werden soll, ist deshalb kein Veto mehr gegen eines der Länder zu erwarten.

Bundeskanzler Helmut Kohl hatte die Bundesbank zu einem eigenen Bericht aufgefordert, um dem Mißtrauen der deutschen Öffentlichkeit gegen den Euro zu begegnen. Das Votum der strengen Deutschen Bundesbank, so Kohls Kalkül, werde die Bevölkerung beruhigen. Die Rechnung scheint aufzugehen. Denn Bundesbankchef Tietmeyer kann am Freitag unmöglich zu einem anderen Urteil kommen als gestern im EWI- Bericht. Das wäre nur möglich gewesen, wenn er im EWI ausdrücklich auf einem abweichenden Minderheitenvotum bestanden hätte. Darauf hat er aber verzichtet.