Brieftauben als Drogenkuriere

■ Italiens Camorra liebt nicht nur Kampfhunde. Polizei observiert Tauben

Neapel (taz) – Daß Italiens Camorra-Bosse tierliebende Menschen sind, weiß die Polizei schon lange. Bei Razzien und Hausdurchsuchungen müssen sich die Ordnungshüter auf schmerzliche Begegnungen mit Pitbulls oder Doggen, aber auch schon mal mit Giftschlangen, Leoparden und, vor kurzem, gar mit einem Löwen einrichten. Neu schien den Strafverfolgern in letzter Zeit allerdings, daß sich die Unterweltler nun auch gerne mit eher als friedliebend bekanntem Getier abgeben. Bei verschiedenen Gangsterchefs fanden Carabinieri ansehnliche Taubenställe, manche mit mehreren Dutzend Vögeln.

Zunächst vermuteten die Behörden dabei Gehege, in denen manch künftiger Sonntagsbraten herangefüttert wird. Nun aber hat sich herausgestellt, daß die gefiederten Gesellen zu ganz anderem benutzt wurden. Im Laufe einer Festnahmeaktion dreier Gewaltverbrecher im Stadtteil Traiano in Neapel kehrten just während der Hausdurchsuchung ein paar Tauben in ihren Schlag zurück – alle drei hatten kleine Behälterchen am Bein befestigt. Darin fanden die Beamten gar nicht so kleine Mengen Heroin.

Tauben sind also der neueste Schrei auf dem Gebiet der Drogenkuriere und Botschaftenüberbringer. Bis zu 30 Gramm Heroin kann so ein Vogel auf einem Flug transportieren, oder auch kleine Botschaften, die sich die dunklen Gestalten angesichts all der Abhörfallen und Lauschangriffe der Ermittlungsbehörden lieber nicht per Telefon anvertrauen mögen.

Seit den jüngsten Entdeckungen hat sich die Polizei mit Feldstechern ausgestattet und beobachtet die Dachgeschosse mutmaßlicher Camorra-Wohnungen auf Taubenverkehr. Das ruft nun wiederum den Taubenzüchterverband auf den Plan: Er befürchtet, daß nun Tausende ehrlicher unbescholtener Brieftaubenzüchter unterschiedslos unter kriminellen Verdacht geraten. Schon vermerken Markthändler in Neapel einen rapiden Anstieg des Angebots an Schlachttauben. Denn der ansonsten bei überzähligen Tieren in Italien übliche Weg, diese einfach irgendwo am Straßenrand auszusetzen, ist in diesem Falle versperrt: Die Tauben kehren bekanntlich, wo immer man sie auch fliegen läßt, in den heimischen Schlag zurück. Werner Raith