Sehen, packen, wegwerfen

Weißblech-, Plastik-, Glasfraktion: Rund um die Uhr wird in Billbrook Abfall zu Wertstoff sortiert – im Namen des Dualen Systems  ■ Von Heike Haarhoff

Ein ausgelatschter linker Schuh schwebt vorbei. Joghurtbecher nebst angeschimmeltem Restinhalt türmen sich neben Plastikfolien, und ein einäugiges rosa-weißes Plüsch-Osterhäschen begleitet zwei leere Shampooflaschen auf ihrer letzten Reise. Zielort: Deutschland oder Übersee, im Namen des Dualen Systems und garantiert nach Wertstofffraktionen getrennt sortiert.

Augen fixieren den vorbeiziehenden unappetitlichen Schrott auf dem Fließband wie ein Geier seine Beute. Erspähen sie eine Plastikflasche, greifen Hände blitzschnell zu, und das Behältnis fliegt in hohem Bogen in den speziellen Plastikflaschen-Container jenseits des Fließbands. So geht das in einem Affenzahn, immer die gleiche Handbewegung – erkennen, zupacken, wegschmeißen – acht Stunden täglich, unterbrochen von einer halbstündigen Verschnaufpause.

Frank Fleischer streift sich die Arbeitshandschuhe ab, stopft sie in den grünen Overall und fährt sich durchs Haar. „Nee, weggucken oder dich mit den Kollegen unterhalten kannste kaum. Wennde am Band stehst, biste nur am Rudern.“Da vergehe die Zeit „wie im Flug“, trotz des ohrenbetäubenden Krachs in der Sortieranlage der Wertstoff-Firma SKP in Billbrook.

Und trotz der Monotonie im Kopf, die nur aus dem einen Gedanken besteht: „Hoffentlich kommt jetzt nicht der große Berg.“Soviel Müll, daß man ihn nicht bewältigt kriegt in der Sekundenschnelle, in der das Band erbarmungslos an den Sortierern vorbeirast. Die Geschwindigkeit drosseln? Fleischer guckt amüsiert. „Wenn du deine Menge nicht schaffst, gibt's keine Prämie.“Darauf zu verzichten, das kann sich keiner der bis zu zwei Dutzend Männer, die hier pro Schicht am Band stehen, leisten. 14 Mark regulärer Stundenlohn sind nicht viel. Ungelernt sind die meisten oder arbeitslos geworden, wie der 41jährige Zimmermann Fleischer, dessen Firma pleite ging und der jetzt froh ist, überhaupt einen Job gefunden zu haben. Andere, wie die Kollegen aus Afrika oder Südeuropa, hatten kaum eine andere Wahl.

Und so stehen sie sich im Drei-Schicht-Betrieb die Füße platt. Bei 30.000 Tonnen Grüner-Punkt-Abfall, pardon -Wertstoff, die jährlich in Hamburg gesammelt und zu zwei Dritteln bei SKP wieder auseinandersortiert werden nach Mischkunststoffen, Aluminium, Weißblech, Tetrapaks und Folien, muß das Fließband rund um die Uhr rotieren. Erst nach Feierabend „merkt man, wie das auf Kreuz und Nacken geht“. Und auf Nasen und Lunge: Trotz Lüftungsanlage stinkt es am Band zum Teil gewaltig, wuseln Keime durch die Luft. Nur die Hälfte der Männer trägt Mundschutz, „da kriegste Ausschlag von“, sagt Fleischer.

„Viel Schweinkram“komme übers Band, auch Dinge, die gar nicht zum Dualen System gehörten wie Autofelgen, Kleiderbügel, Regenschirme. Ein Drittel der Stoffe, die sich im Gelben-Sack-Müll wiederfänden, seien „artfremd“. Damit liege Hamburg im Trend bundesdeutscher Großstädte. Auf dem Land sei der „Verschmutzungsgrad“höchstens zehn Prozent – weil die soziale Kontrolle, was in die Tonne kommt, größer sei. Er selbst, Fleischer, trenne zu Hause „nur Papier“, für mehr Müllkörbe hätte er in seiner kleinen Wohnung in Heimfeld „gar keinen Platz“.

„Das Problem kennen wir“, bestätigt Rainer Feßler, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit bei SKP. Aber was soll's – es gibt die Verpackungsverordnung von 1992, es gibt die Verpflichtung des Dualen Systems, Papier, Glas und Verpackungen zu sammeln, zu sortieren und der Wiederverwertung zuzuführen.

Es gibt einen Müllwagen, der jetzt in der Halle vorfährt und bergeweise Plastik- und Blechschrott ablädt. Hügelhoch stapeln sich verbeulte Knackwurst-Dosen neben Filmhüllen, Kronkorken und dem Modekatalog vom vorigen Sommer. Auf Förderbändern wird automatisch vorsortiert: Die Weißblechfraktion wird magnetisch abgesaugt und zu handlichen Paketen für die Hamburger Stahlwerke gepreßt. Ähnlich beim Alu. Auch Skier, Transistorradios oder Sessel, die hier als „Umverpackung“landeten, werden vorher abgegriffen. Den Rest erledigen Frank Fleischer und seine Kollegen. Was mit dem Material anschließend passiert, ob es in Verwertungsbetrieben zu neuen Produkten eingeschmolzen wird, kümmert sie wenig. Fleischer zuckt die Schultern: „Müll ist Müll“.