: „Unser Prinzip heißt Provokation“
■ Eine respektlose Fernsehshow führt die ukrainischen Politiker vor
Kiew (taz) – Schauplatz: Eine Fabrik in Kiew für die Montage und Reparatur von Eisenbahnwaggons. In der Mitte der Werkshalle, abgetrennt durch hohe Metallgitter, stehen sich hinter zwei gestrichelten Linien jeweils fünf Personen gegenüber. In den Ecken des Käfigs liegen Autoreifen, aus Metallgefäßen lodern Flammen.
Hinter der Absperrung johlen Zuschauer und halten Transparente in die Höhe. Heute findet die letzte Runde der TV-Wahlshow „Fünf gegen fünf“ statt. Geladen sind Vertreter der Partei „Volksmacht, Wirtschaft und Ordnung“ (NEP) und der Christlich-Demokratischen Partei. Zwei Journalisten in schwarzen Anzügen und mit dunklen Sonnenbrillen begrüßen die Zuschauer. Dann geht es zur Sache. Zuerst wird einem NEP-Vertreter das Mikro unter die Nase gehalten. „Wir wissen ja, was die Bolschewiken aus der NEP gemacht haben. Hat der Name Ihrer Partei etwas damit zu tun?“ „Natürlich nicht“, stammelt der Angesprochene und ergeht sich in theoretischen Erklärungen. „Alle Parteien sammeln doch jetzt kompromittierendes Material über die politischen Gegner, sogenanntes Kompromat. Haben Sie auch welches?“ bohrt der andere Journalist gegenüber bei den Christdemokraten. Einer von denen fuchtelt wild mit den Armen und stößt ein paar Flüche aus.
Lawrentij Malazonia ist einer der Urheber und Produzent dieser Politshow. „Unser Prinzip heißt Provokation“, sagt er. „Die Menschen hier erleben ständig, daß sie von den Politikern über den Tisch gezogen werden. Hier läuft das umgekehrt: Wir führen die Politiker vor. Die Leute sollen das genau beobachten können und sich dann entscheiden.“ Früher hätten die Wähler nur gegen jemanden stimmen können, indem sie den Namen eines Kandidaten auf dem Wahlzettel durchstrichen. Diese Mentalität herrsche heute noch immer. „Wir wollen erreichen, daß die Menschen bewußt für jemanden stimmen. Dazu müssen sie wissen, mit wem sie es zu tun haben.“
Nach der Ausstrahlung der ersten von insgesamt acht Folgen zogen die Kommunisten, die Sozialisten, aber auch die Volksbewegung „Ruch“ es vor, in der Show lieber nicht aufzutreten. Kommentar: Das ist ein Programm westlichen Typs, damit wollen wir nichts zu tun haben. Barbara Oertel
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