Unkonventionell etablierte Rebellen

Pünktlich zum Frühlingsanfang reist die Junge Deutsche Philharmonie aus Frankfurt in die Hansestadt und versucht einmal mehr, den philharmonischen Mief aus den Köpfen eines recht bequem gewordenen Berufsstands zu pusten.

Mit diesem reisenden Aufbegehren läßt sich allerdings kaum Geld verdienen. Vor Ort buttert daher Mobil Oil kräftig (und das seit 19 Jahren) zu, damit die jungen Wilden nicht den Gesetzen des Klassikmarktes zum Opfer fallen. Als Rebellen gehen die sich regelmäßig neu formierenden Orchestermusiker allerdings kaum durch, denn ihr Ziel ist ein etabliertes Sinfonieorchester. Die in Selbstverwaltung zusammengestellten Programme sind aber immerhin mutige Zeichen gegen die Erosionen des etablierten Konzertbetriebes, der in seiner Phantasie- und Lieblosigkeit kaum noch zu unterbieten ist.

In erster Linie ist das Bundesstudentenorchester eine Spiel- und Experimentierwiese für den motivierten Orchester-Nachwuchs. Sein Markenzeichen ist die unkonventionelle Programmgestaltung – umso mehr überrascht das relativ konservative Programm dieser Frühjahrsprobenphase: Werke von Beethoven (Leonoren-Ouvertüre Nr. 3), Berthold Goldschmidt (Klarinettenkonzert mit der Solistin Sabine Meyer) und Schostakowitsch (10. Sinfonie).

In einem Werkstattkonzert nimmt Dirigent Andreas Delfs, erfolgreicher Chef des Niedersächsischen Staatstheaters, am Dienstag im Studio 10 das Klarinettenkonzert von Berthold Goldschmidt unter die Lupe. Das Motto des Abends – „Musik in der Emigration“– will aber nur so recht auf Goldschmidt, der 1935 Deutschland verlassen mußte, zutreffen. Beethovens Lobgesang auf die Freiheit und Schostakowitschs tragisches Selbstporträt gehören weniger in diesen konkreten Emigranten-Zusammenhang, reflektieren mehr das Grauen diktatorischer Willkür. Im berühmt-berüchtigten Stalin-Scherzo darf man sich auf die virtuosen Höllenfahrten der Blechbläserabteilung freuen.

Mit Lothar Zagrosek, ihrem künstlerischen Berater seit 1995, ist das Elite-Ensemble gut beraten. Zagrosek, mit Beginn der Spielzeit 1997/98 Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart, hat ein sicheres Händchen in der Vermittlung komplexer Musik und ist darüber hinaus ein geduldiger Dirigent.

Sven Ahnert

heute, 20 Uhr, Studio 10, Oberstraße; morgen, 20 Uhr, Musikhalle