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"Die Ahauser sind entsetzt"

■ Hartmut Liebermann, Sprecher der BI "Kein Atommüll in Ahaus", wirft der Polizei Wortbruch und Brutalität vor. Er prognostiziert beim nächsten Castor-Transport viele neue Demonstranten

taz: Warum sind Sie über den Polizeieinsatz beim Castor- Transport in Ahaus so empört?

Hartmut Liebermann: Weil es nicht die vorher angekündigte Strategie der Deeskalation gegeben hat, sondern die Polizei nach anfänglichen konsensorientierten Gesprächen mit uns auf Konfrontation und Provokation umgeschwenkt ist. Noch Mitte Februar ist uns signalisiert worden, daß die von uns vorbereiteten Camps im wesentlichen unstrittig seien. Im März wurden dann plötzlich sechs von neun Camps verboten. Das war eine Provokation und gleichzeitig diente dieser Coup dem Ziel, Chaos zu schüren.

Die Polizei fürchtete, daß von den Camps aus Aktionen gegen Gleisanlagen gestartet würden.

Wir haben immer ganz klar gesagt, daß aus den Camps heraus keine politischen Aktionen geführt würden – und schon gar keine militanten. Da gab es klare Absprachen.

Absprachen mit Garantie?

Daß unter Tausenden von Leuten ein paar dabei sein können, die möglicherweise Straftaten begehen wollen, kann niemand ausschließen. Das hat aber mit den Camps nichts zu tun. Man kann doch nicht Versammlungen verbieten, nur weil vielleicht einige der Teilnehmer Straftaten im Sinn haben. Dann könnte man auch kein Bundesligaspiel mehr stattfinden lassen, denn da kommt es regelmäßig am Rande zu Straftaten. Das Bundesverfassungsgericht hat im Brokdorf-Urteil festgestellt, daß das Versammlungsrecht nicht eingeschränkt werden darf, weil man erwartet, daß am Rande einige Straftaten begangen werden.

Mehrere Gerichte haben die Versammlungsverbote in Ahaus im Eilverfahren als „nicht unverhältnismäßig“ bestätigt.

Entschieden ist noch nichts. Die Gerichte haben gesagt, daß die Auflagen weder offensichtlich rechtswidrig noch rechtskräftig sind. Was im Hauptverfahren rauskommt, ist völlig offen.

Was erwarten Sie von einer Polizei, die nach dem Gesetz dafür zu sorgen hat, daß der genehmigte Transport am Ziel ankommt?

Zunächst einmal erwarte ich, daß die Polizei sich an ihre Ankündigungen hält. Das hat sie weder bei den Camps noch bei dem Einsatz am Tag X getan. Klipp und klar ist vom grünen Polizeipräsidenten Hubert Wimber gesagt worden, daß Leute, die Gleise besetzen, von den Schienen getragen werden, sofern sie keinen Widerstand leisten. Tatsächlich sind viele Leute bei der großen Blockade am Freitag nachmittag aber zum Teil äußerst brutal von den Gleisen gezerrt worden. Nachdem die Gleise längst frei waren, wurden massiv Knüppel, Hunde, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt.

Bestreiten Sie, daß die Räumung im Vergleich zu Gorleben weniger gewalttätig erfolgte?

Ich vergleiche das nicht mit anderen Einsätzen, sondern ich berichte von dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Einige Einheiten sind wahllos auf alle losgegangen, die ihnen in die Quere gekommen sind. Die haben auch auf am Boden liegende Demonstranten eingetreten und -geschlagen. Das steht eindeutig im Widerspruch zu dem, was Herr Wimber versprochen hatte.

Die Besetzung war aber auch nicht rein passiv, so wie angekündigt. Es gab massive Gleisunterhöhlungen. Das paßt nicht zusammen.

Doch, das paßt schon zusammen. Denn das war eine spontane, unkoordinierte Aktion und nicht die von uns vorgesehene Gleisbesetzung. Diese Spontanaktion ist eine direkte Folge der Polizeistrategie, durch Camp-Verbote und die Vorverlegung des Transporttermins Chaos zu erzeugen. Insofern hat die Polizei sich das selbst zuzuschreiben. Wir hätten die von uns geplante Sitzblockade voll unter Kontrolle gehabt.

Wie hat die Ahauser Bevölkerung reagiert?

Die Leute hier in Ahaus, die erstmals einen solchen Einsatz erlebt haben, sind entsetzt. Der brutale Polizeieinsatz hat bewirkt, daß sich beim nächsten Castor-Transport noch mehr Ahauser beteiligen werden. Die werden nicht nur gegen Atomenergie und Castor- Transporte demonstrieren, sondern auch gegen die Polizeistaatsmethoden. Die Empörung darüber ist hier unglaublich. Interview: Walter Jakobs

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