Lafontaine wirbt, doch die Jusos zweifeln

Während sich der SPD-Chef der Parteijugend als Garant eines Politikwechsels präsentiert, fürchten die Jusos, daß der „wirtschaftsnahe Charmeur Schröder“ die zartrosa Visionen letztlich vom Tisch wischt  ■ Aus Essen Christian Esser

Auf einmal wurde es richtig spannend. Oskar Lafontaine redete, und plötzlich brachten Wortgefechte Leben in die Essener Zollverein-Zeche. Denn beim Bundeskongreß der Jungsozialisten (Jusos) am vergangenen Wochenende breitete der Nachwuchs keinen roten Teppich für „Oskar“ aus. Der Landesvorsitzende aus dem Saarland, Carsten Klein, stellte klar: „Die Nummer piep, piep, piep, Oskar und Gerhard haben wir lieb“, werde es an diesem Wochenende nicht geben.

Dabei mühte sich der Parteivorsitzende demonstrativ um die Zustimmung der Junggenossen. Nach dem Wahlsieg wolle er auf jeden Fall eine „ökologische Reform des Steuer- und Abgabensystems“ durchsetzen. „Ohne diesen Programmpunkt stehe ich nicht zur Verfügung“, rief Lafontaine in den Saal. Den 350 Delegierten versprach er, eine SPD-geführte Bundesregierung werde bereits in den ersten hundert Tagen an der Macht eine Reihe von Maßnahmen des Kohl-Kabinetts wieder zurücknehmen. So sollen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Schlechtwettergeld für Bauarbeiter und der alte Kündigungsschutz wieder eingeführt werden.

Doch Lafontaines Bekenntnisse konnten die Gemüter im Saal nicht beruhigen. Parolen seien das, nicht die real-existierene SPD-Politik, so der Konsens. „Oskar sagt das, was wir fordern“, räumte Juso- Bundesvorsitzende Andrea Nahles ein, sah aber eine klare Doppelstrategie zwischen Parteichef und Kanzlerkandidat am Werk. „Was wir nicht brauchen, ist ein wirtschaftsnaher, hemdsärmeliger Charmeur wie Gerhard Schröder.“ Der gescholtene Ex-Juso-Chef fehlte in Essen, trotz Einladung. Dafür bedachte Lafontaine den Kandidaten, ohne ihn beim Namen zu nennen, mit diskreten Seitenhieben. Die SPD führe keinen Koalitionswahlkampf, sondern rede über politische Inhalte, sagte der Parteichef, die SPD-internen Koalitionsdebatten seien sofort zu beenden. Anlaß für diese relativ deutliche Ermahnung in Richtung Schröder war angeblich die Verärgerung in der Bonner SPD-Spitze über die Erklärungen des Niedersachsen während seiner Israelreise. Schröder hatte in Jerusalem erklärt, er halte die Grünen wegen ihres Benzinpreis-Beschlusses derzeit nicht für regierungsfähig.

Der SPD-Nachwuchs rieb sich in Essen vor allem am Regierungsprogramm der eigenen Partei. Die Verbesserungsvorschläge der Jusos wäre die 28jährige Nahles am liebsten noch während der Rede Lafontaines losgeworden. So trippelte die Germanistikstudentin hin und her und murmelte: „Konkrete Maßnahmen Junge, konkrete Maßnahmen“.

Für Nahles liegen die notwendigen Programmpunkte auf der Hand. Erstens: Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Zweitens: Geld muß her. Staatliche Beschäftigungsprogramme und Bafög für alle, lauten zwei zentrale Forderungen. Zur Linderung der Not der Armen, der Arbeitslosen und der Studenten rufen die Jusos nach staatlicher Hilfe – wenn schon die Not nicht zu beseitigen ist. „Die Verteilungsfrage muß gestellt werden“, ruft Nahles – Tochter eines Maurermeisters – und erklärt, wo man das nötige Kleingeld finden könne: bei den Besserverdienenden, den Spekulanten und den Erben. Da donnert der Applaus.

Beim nächsten Parteitag in Leipzig möchten die jungen Sozis dem SPD-Wahlprogramm mit acht Punkten ihren Stempel aufdrücken. Zur Verwirklichung dieser Ziele gibt es für die Jusos nur ein mögliches Regierungsbündnis: Rot-Grün. „Die Grünen sollen wieder auf den Teppich kommen“, erklärte Andrea Nahles gegenüber der taz, dann sei auch ein echter Politikwechsel in Deutschland möglich.

Ob mit einem Politikwechsel ein Generationswechsel einherginge, bleibt auch nach dem Bundeskongreß fraglich. Unter 800.000 Genossen befinden sich etwa 100.000 Jusos. Die SPD ist überaltert. 270.000 Parteimitglieder sind um die 60. Eintrittswellen von linksbewegten Jugendlichen sind nicht in Sicht.

Schon bei ihrem Jugendparteitag vor zwei Jahren hatte sich die Partei vorgenommen, die Reihen der Bundestagsfraktion zu verjüngen. Danach sollten bei der Bundestagswahl mindestens dreißig Abgeordnete unter 40 Jahren und davon fünfzehn unter 35 im Bundestag sitzen. Zur Zeit sind es nur eine Handvoll junger Leute unter 35 in der SPD-Fraktion. Und daran wird sich im Herbst nichts ändern. „Von achtundzwanzig Kandidaten unter 35 sind über die Liste sechs abgesichert“, sagte der Juso-Geschäftsführer Michael Rüter der taz. Die Jusos kämpfen weiter um Anerkennung.