„Warum sollte ich mir mein Leben zerstören?“

■ Yasemin Özcan (19) ist Schülerin in Berlin. Sie hat eine Freundin begleitet, die sich das Jungfernhäutchen beim Gynäkologen nähen ließ – für den Wucherpreis von 850 Mark

taz: Das Jungfernhäutchen – ist das für Sie und Ihre MitschülerInnen hier in der Bundesrepublik ein Thema?

Yasemin Özcan: Viele Mädchen hier unterhalten sich die ganze Zeit darüber. Sie diskutieren immer wieder: Was passiert, wenn ich bei der Hochzeit keine Jungfrau mehr bin?

Gibt es in Ihrem Bekanntenkreis eine junge Frau, die sich das Jungfernhäutchen hat operieren lassen?

Meine Freundin hat mit ihrem deutschen Freund geschlafen. Sie wollte ihn heiraten. Aber er wollte wohl nur Sex. Denn danach hat er sich von ihr getrennt. Sie weiß jetzt nicht, was sie machen soll. Sie spricht sogar vom Sterben, denn ihre Familie ist sehr streng. Ich habe ihr deshalb vorgeschlagen, sich nähen zu lassen. Aber sie hat Angst und wenig Informationen.

Würden Sie sich selber auch das Jungfernhäutchen nähen lassen?

Ja, wenn ich in der selben Lage wäre wie meine Freundin. Warum soll ich mir mein Leben zerstören? Ich möchte mir mein Leben schön machen, studieren, eine glänzende Zukunft haben. Ich denke, das Zusammenschlafen ist eine freie Sache, die jede Frau für sich entscheiden sollte. Ich denke nicht wie viele türkische Mädchen, daß ich bis zum Hochzeitstag warten sollte. In der Türkei ist das viel freizügiger für junge Frauen mit dem Sex als hier. In der Türkei ist das Nähen üblicher als hier.

Haben Sie jetzt einen Freund?

Er ist Student und lebt in der Türkei. Wir wollen später heiraten. Wenn wir beide einverstanden sind, schlafen wir zusammen. Aber manchmal habe ich Angst davor, daß er mich danach dann verläßt. Aber er ist wirklich ein guter Mann.

Würden Ihre Eltern in der Hochzeitsnacht das Blut auf dem Laken kontrollieren?

Das weiß ich nicht, bisher haben meine Eltern mir immer vertraut, und ich bin ja noch Jungfrau.

Unter deutschen Mädchen geht der Trend ja in eine andere Richtung. Sie schreiben Briefe an Zeitschriften wie Bravo: „Ich bin 17 und immer noch Jungfrau, was soll ich tun?“

Das verstehe ich nicht. Die Mädchen werden doch noch früh genug merken, wie das ist, mit einem Jungen zu schlafen.

Was wissen Sie über die Ärzte und Ärztinnen, die Mädchen und junge Frauen in Berlin behandeln?

Ich habe einmal eine gute Freundin zu einem Arzt begleitet. Sie mußte 850 Mark bezahlen. 200 Mark hatte ich ihr dazugegeben. Diese Preise finde ich schlimm. Woher sollen die Mädchen denn das Geld nehmen, sie sind doch erst 17 oder 18 Jahre alt. Vielleicht klauen sie, oder sie schlafen mit einem Jungen für Geld, nur damit sie einen solchen Eingriff bezahlen können. Für meine andere Freundin ist es auch die größte Sorge: Woher soll sie das Geld nehmen?

Aber seit die türkischen Mädchen in meinem Bekanntenkreis mitbekommen haben, daß Frauenärzte das machen, schlafen immer mehr mit ihren Freunden. Ja, so ist es wirklich. Interview: Barbara Debus