Lernen vom Nachbarn linker Hand

■ Wie die Franzosen Arbeitsmarktpolitik machen / Ein Vortrag

Jetzt erst recht, seit der Schrödernominierung, prasselt hierzulande Lob ein auf die Scheinsozialdemokraten Clinton und Blair, eher wenig dagegen auf die Erfolge des einigermaßen „echten“Linken Jospin. Die Angestelltenkammer lud Norbert Volz ein, um das nachzuholen. Natürlich nutzte der Mann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – unter den sechs hiesigen Forschungsstellen das am wenigsten staatstragende – die Gelegenheit, um das kluge DIW-Erklärungsmodell zur wirtschaftlichen Flaute vorzustellen.

Frankreich faßte den Mut zu zwei gravierenden Maßnahmen: Einer stärkeren Besteuerung der Zinseinkünfte und einer Kürzung der Wochenarbeitszeit. Schließlich war der Nachholbedarf groß. 1981 tastete man sich zaghaft von 40 auf 39 Stunden vor. Dann war Flaute. Kürzlich aber wurde vom Gesetzgeber die 35-Stundenwoche für das Jahr 2000 abgesegnet. Flankiert wird diese Pflicht durch sanfte Lockungen. Unternehmen, die schon vor der Jahrtausendwende die Arbeitszeiten um mindestens 10 Prozent senken und mindestens 6 Prozent an Arbeitsplätzen zulegen, werden belohnt durch Lohnnebenkosten-Erlasse.

Die französische Arbeitslosenproblematik unterscheidet sich von der deutschen durch einen drastisch höheren Anteil der Jugendlichen. In einem Land, das Sozialhilfeanspruch erst für Menschen über 25 Jahren kennt, ein gewaltiger sozialer Sprengstoff. Alle anderen Eckdaten gehen jedoch mit „unseren“weitgehend gleich: Der Anteil der Teilzeitjobs beträgt etwa 16 Prozent. Produktivität und Außenhandelsbilanz ähneln sich.

Trotz der vielen Gemeinsamkeiten entschied man sich in beiden Ländern für unterschiedliche Maßnahmen: Hier Verbilligung, dort Umverteilung der Arbeit. Für Volz ein guter Grund, die deutschen Argumentationsketten zu hinterfragen. Die werden geprägt durch zwei Kampfbegriffe: mangelnde Konkurrenzfähigkeit und überhöhte Lohnnebenkosten. Der eine ist schlicht falsch, der zweite unsinnig. Deutschland ist Export-Weltmeister. Und: Keinen Unternehmer interessieren die Aufschlüsselungen der Löhne, sondern das, was er tatsächlich in Summe rüberrücken muß. So verfolgt die Diskussion um die Lohnnebenkosten ideologische Ziele: Sparbereitschaft zu schüren auf Kosten der Ärmsten, den „Sozialkostenverursachern“.

Für die Entwicklung der absoluten Lohnkosten bietet das DIW zwei vernünftigere Kennziffern an: Lohnstückkosten und Reallohnposition. Letzterer beziffert die Gehälter inklusive Lohnnebenkosten bereinigt von Inflation und Produktionssteigerungen. Und da zeigen die Pfeile in Deutschland und Frankreich deutlich nach unten, im Gegensatz zu anderen EU-Ländern, aber auch zu den Wunderländern Blairs und Clintons. Der deutsche Erfolg auf dem Weltmarkt bestätigt das. Deshalb ist die Standortdebatte für Volz ein großer Bluff. Deutschland betreibt längst genug „beggar my neighbour“-Politik, will heißen, verlagert durch aggressive Exportpolitik Arbeitslosigkeit. Problem ist also nicht der Export, sondern der Binnenmarkt, nicht zu teures Angebot, sondern mangelnde Nachfrage.

Die entsprechenden Zahlen sind in allen Zeitungen nachzulesen. Aus Aufmachertexten werden sie aber verdrängt. Warum dieses Versagen des Wirtschaftsjournalismus? Volz tippt dabei auf den Sex-Appeal der Mächtigen. Klarer ist hingegen, warum diese die Standortdebatte favorisieren: In Zeiten der Not denkt der Mensch zu kurz, nämlich nur an sich. Ein psychologisches Problem. „Eigentlich wollen alle Unternehmer den eigenen Arbeitnehmern möglichst wenig bezahlen, allen anderen aber viel: Irgend jemand muß schließlich Geld haben zum Kaufen.“ bk