Lehrreich -betr.: "Techno-Cats", taz-Hamburg vom 28./29.3.98

Lieber Herr Hollein,

vielen Dank für Ihre Schnurre über die Katze, die Sie duldet. Wir, die wir Katzen mißverstehen oder geringschätzen, lesen ja immer wieder gern putzige Geschichten aus dem auch nach Hunderten von Besinnungsaufsätzen viel zu unbekannten, atemberaubend autonomen Leben „feliner Mitbewohner“. Aber – und jetzt schlägt ein Liebhaber von dem, was Sie nicht verstehen oder geringschätzen, mit ebensolcher Geschwätzigkeit zurück – das Schreiben über elektronische Musik sollten Sie lieber anderen überlassen.

Schon im ersten Satz verweisen Sie auf „Tunneltrance“. Ein gar fremder Begriff, der in lokaler Beschränktheit höchstens dem Hamburger Publikum des Techno-Clubs „Tunnel“bekannt sein könnte. Wie groß die Schnittmenge zwischen taz-LeserInnen und TunnelistInnen ist, wage ich nicht zu taxieren. Ist auch schnurz, denn selbst die schwärmen von Hard Trance. Das ist die Bezeichnung der Spielart des Techno, die – und jetzt nähern wir uns dem lehrreichen Teil – extrem „brettig“, mit vielen Beats Per Minute (!) und wenigen Breaks oder sonstigen Raffinessen nur einer Sache dienen soll, dem Nirwana des Tanzenden. Genreimmanent klingt das nicht besonders einfallsreich, innovativ oder experimentell, vielmehr zeichnet sich der gemeine Trance durch seinen stereotypen, „hypnotischen“Klang aus.

Aus Angst, daß Ihre Katze bei Schlaflosigkeit vergeblich in den Tunnel läuft, sei erwähnt, daß Empires Musik mit fast jedem Begriff beizukommen ist, jedoch nicht mit Trance. Denn Alec Empire, Chef eines treffend Digital Hardcore getauften Labels, beruft sich auf elektronischen Hardcore, auf den Underground und die ständige Fortentwicklung seiner Protagonisten, respektive ihrer Tracks, Tunes oder Songs. Diese Musik lebt durch ihre Breakbeats (das sind diese lustigen Rhythmuscollagen, bekannt aus Hip Hop, Drum'n'Bass, Sportschau) und das Überschreiten von Grenzen, auch denen des Techno.

Empires Werke sind meist einfallsreich, innovativ und/oder experimentell, nie dienen sie mit repetierender Struktur dem Nirwana der Tanzenden und sind darum weder im Tunnel noch in anderen Trance-Tempeln zu genießen. Trance ist eines der, zugegeben zahlreichen, Feindbilder von Alec Empire (andere sind Staat, Faschisten, Polizei, Mode, Rave (!), Zeitgeist etc., ich glaube, Sie und Else können diese Liste gedanklich fortführen).

Welches Interface von Empire hörbar gemacht werden soll, weiß ich nicht. Der ziemlich dämliche Verweis aufs hörbar gemachte Interface stammt übrigens im Original vom Klangkünstler Oval/Markus Popp, der seine Musik – zum Zeitpunkt des Zitats – aus dem „fehlerhaften“Knacken und Rauschen klangerzeugender Geräte zusammensetzte, daher auch hörbar gemachtes Interface (und zwar zwischen Mensch und Maschine). Was Gott, ausgerechnet der, mit dem ganzen zu tun haben soll, weiß er allein (oder in beliebiger Reihenfolge Sie, Else und J.S. Bach). Alec Empire ist Atheist, der nur einen God kennt und den von rechts nach links liest.

Mit schulmeisternden Empfehlungen an Else, Lars Brinkmann

P.S.: Was ist ein „ravegemäßer Milchtritt“?