Die lähmende Angst vor den israelischen Soldaten

■ Immer wieder kommt es im Süden des Libanons zu Konfrontationen zwischen Besatzern und Besetzten mit Toten auf beiden Seiten. Eindrücke aus dem Alltagsleben in einem Frontgebiet

Im Hafen von Tyrus sitzen Fischer und flicken ihre Netze. Am Horizont ist ein Schiff zu sehen. „Jede Wette, das ist ein israelisches Kriegsschiff“, sagt einer. „Andere trauen sich hier nicht so weit raus.“ Aus Angst vor israelischen Patrouillen meiden die Fischer das offene Meer. Ihre Boote dümpeln an der Mole. „Das hier ist eine der fischreichsten Gegenden des Mittelmeers“, erklärt einer. „Nur leider können wir kaum noch etwas fangen.“ In den letzten Monaten sind mehrfach israelische Militärboote vor Tyrus gesichtet worden. „Sie haben uns Instruktionen übergeben, wo wir fischen dürfen und wo nicht“, berichtet der Fischer. Aus Angst vor den Israelis legen manche ihre Schleppnetze nur noch bis etwa 500 Meter vor der Küste aus, ziehen sie dann vom Strand aus mit Seilen zurück. Israel legitimiert die Präsenz seiner Schiffe als „Schutzmaßnahme“ gegen Attacken der Hisbullah, der schiitischen Guerillapartei. Wiederholt haben die Schiffe Soldaten in Schlauchbooten oder Taucher abgesetzt, die sich nachts an Land schlichen, um Jagd auf Hisbullah- Führer zu machen.

Anfang September vergangenen Jahres erlebte die israelische Armee bei einer solchen Aktion ihr Waterloo. Eine angelandete Spezialeinheit geriet in einen Hinterhalt der Hisbullah. Zwölf Soldaten starben. Sie wurden zerfetzt, weil mitgeführter Sprengstoff explodierte. Zwei Tage darauf präsentierte die Hisbullah in Beirut stolz den blutigen Kopf eines der Israelis. Eine libanesische Zeitung druckte Fotos von abgetrennten Füßen und Händen. „Wie viele in Israel inhaftierte Libanesen gibt es für ein Paar israelische Füße?“ fragte das Blatt – und in Anspielung auf die Vermittlungsbemühungen des deutschen Geheimdienstkoordinators forderten sie: „Schmidbauer, übernehmen Sie!“

Die israelische Antwort ließ nur wenige Tage auf sich warten. Mitte September liefen Hadi Nasrallah (18), Sohn des Hisbullah-Generalsekretärs Hassan Nassrallah, und zwei weitere Hisbullahis in dem israelisch besetzten Gebiet in eine Falle. Ihre Leichen wurden nach Israel gebracht. In Beirut hieß es damals, Israel versuche einen Austausch der Gebeine gegen die Überreste der eigenen Soldaten auszuhandeln. Doch Hassan Nassrallah lehnte ab. Als Märtyrer sei sein Sohn längst im Paradies.

25 Kilometer nordöstlich von Tyrus liegt in einem Talkessel Nabatijeh, Frontstadt an der Linie zur von israelischen Soldaten kontrollierten Zone. Im Zentrum der Stadt steht eine Art Pavillon aus Zeltplanen, verziert mit Bildern des iranischen Revolutionsführers Ajatollah Chomeini. Aus Lautsprechern dröhnt kämpferische Musik. Die Partei Gottes veranstaltet einen Wohltätigkeitsbasar. Die angebotenen Waren sind subventioniert, was die Beliebtheit der Guerillapartei noch erhöht.

In den Straßen wird klar, wer hier das Sagen hat: Während die libanesischen Polizisten schüchtern durch die Gegend huschen, fallen junge Männer mit angespannten Gesichtern und Pistolen im Hosenbund auf. Es ist die Hisbullah Security, die jeden fremden Besucher zur Seite nimmt und seine Personalien registriert. „Wir müssen vorsichtig sein“, erklärt einer und bietet eine Cola an. „Die Israelis sind ganz nah, oben in den Bergen, und sie versuchen, uns auszuspähen.“ Alle paar Tage schlagen in der Umgebung israelische Granaten ein, manchmal auch in der Stadt selbst. Seit Jahren geht das so.

Israelische Militärs begründen diesen Status quo mit der Befürchtung, würden sie sich aus dem Süden Libanons zurückziehen, werde die Hisbullah bis an die israelische Grenze vorrücken und von dort aus den verhaßten Staat angreifen. Doch aktuelle Erklärungen der Hisbullah lassen anderes erwarten. „Natürlich ist es der Wunsch eines jeden Muslims, das heilige Jerusalem zu befreien“, sagt der für westliche Besucher zuständige Sprecher Mussawi. Aber die Hisbullah sei eine „nationale libanesische Organisation“ und deren Aufgabe „die Befreiung des Südens unseres Landes“. Und auch Irans Außenminister Kamal Charrasi, Repräsentant des wichtigsten Unterstützers der Hisbullah und gerade auf Staatsbesuch in Beirut, erklärte dort am Montag: „Ich glaube, wenn die israelischen Truppen aus dem Südlibanon abgezogen sind, sind die Ziele des Widerstandes erreicht.“ Thomas Dreger