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■ Kuba im Blut: Der Altstar Rubén González gab ein umjubeltes Konzert im ausverkauften Curio-Haus

Am Ende wollte der Mann mit den schlohweißen Haaren gar nicht mehr gehen. Es war schon gutes Zureden der Bandmitglieder erforderlich, um Rubén González nach zwei Stunden endlich von seinem Instrument loszueisen. So lange hatte der 79jährige Pianist zuvor das Publikum im ausverkauften, leider bestuhlten Curio-Haus durch die Geschichte der traditionellen afrokubanischen Musik geleitet – und man hätte sich niemanden vorstellen können, der dazu besser in der Lage gewesen wäre.

Denn Rubén González hat überall seine Finger im Spiel gehabt: Als sich in den Vierzigern mit dem Son der für die lateinamerikanische Tanzmusik wohl einflußreichste Stil auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit befand, gehörte González dem Ensemble des legendären blinden Orchesterleiters Arsenio Rodríguez an. Als gleichzeitig der Mambo an Bedeutung gewann und Jazzharmonien in die kubanische Musik eingeführt wurden, galt er als der letzte eines Trios von Pianisten, die diesen Wandel von Beginn an mitprägten. Und als in den Fünfzigern der Cha Cha Cha seinen Siegeszug antrat, konnte dessen Erfinder Enrique Jorrín auf einen versierten Mann am Klavier zählen: Rubén González.

Entsprechend behend wandelten der kleine, gebrechlich wirkende Kubaner und seine klassisch besetzte Band denn auch am Mittwoch zwischen den Stilen. Bolero Son, Guaracha und die oft von einer mittelschnellen Mambo-Passage mit Piano-, Trompeten- und Bass-Solo gefolgte Danzón – ein provozierend lässiger Feger nach dem anderen reihte sich auf das von der Rhythmussektion straff gehaltene Schnürchen. Zudem schmachtete sich Ibrahim Ferrer, mit 71 Jahren gewissermaßen der Benjamin unter den Altstars, mit klarer, weicher Stimme, Humor und Improvisationstalent so schön durch den Abend, daß man ihm auch inhaltliche Stereotypen gerne verzieh.

Ausnahmslos exzellente Musiker also, die sich da versammelten; der Mittelpunkt der Band aber, ihr Herzstück, das war Rubén González. Selten hielt er sich lange an einem Riff auf, seine Harmonien waren reichhaltig, nie jedoch kompliziert. Und immer wieder diese Pausen, diese Lücken zwischen den Anschlägen, die den Ausgangspunkt bildeten für nicht enden wollende Läufe, mit denen er den Eindruck erweckte, man müsse die Tastatur eigens für ihn erweitern. Manchmal, wie beispielsweise während eines unbegleiteten Posaunensolos, blieb ihm tatsächlich nur noch das Luftklavier.

Das Rätseln über die Ursachen für den relativ plötzlichen kommerziellen Erfolg afrokubanischer Musik mag auch nach diesem Konzert andauern. Aber wer gesehen hat, wie González, als das Publikum sich mit stehenden Ovationen bedankte, einem kleinen Kind gleich am vorderen Bühnenrand vor Freude herumhopste, kennt immerhin einen möglichen Grund. Und noch einer lag auf der Hand – auch ohne den Auftritt Compay Segundos gesehen zu haben: die wie González zum Buena Vista Social Club zählende Gitarrenlegende hatte am frühen Abend im kleinen Curio-Saal bei einem von der Plattenfirma veranstalteten Showcase mit frivolen Hüftschwüngen jede Menge geladenes Medienvolk um den kleinen Finger gewickelt. Mit neunzig Jahren noch sexy.

Jan Möller