Rave around the Ruhrpott

■ Strukturwandel im Städtevergleich – Discokugel Dortmund, Pottheadz, Dodge

Das Leben im Revier, wie mag es wohl aussehen? Selbst wenn man noch nicht da war, macht man sich so seine Gedanken. Man weiß von kleineren Großstädten und größeren Kleinstädten, die dank vielspuriger Autobahnen einen lockeren Verbund bilden, an deren Verkehrsknotenpunkten sich ellenlange Staus von zwingendem Nachrichtenwert bilden. Man hat vom Niedergang der Schwerindustrie gehört, von Zechenschließungen und Kumpeln ohne Zukunft; vom Strukturwandel, Erneuerungsmaßnahmen und dringend notwendigen Anpassungsleistungen; dem Engagement für neue Technologien und neue Medien und Medienzentren; von Zukunftsparks auf der grünen Wiese und Technik, die dem Menschen dient; aber auch von Fußballstadien, Pommes rot- weiß, Kiesgruben und Baggerseen; von einfachen Menschen, ehrlichen Arbeiterseelen und Jugendarbeitslosigkeit; und davon, daß Tradition dort auf Innovation trifft, und anderen zuverlässigen Gerüchten. Also: eine Gegend im Umbruch.

Und dann noch die Musik, sie macht das Bild sozusagen rund. Schließlich weiß man auch dank seiner Plattensammlung, wie es zum Beispiel in L.A. zugeht: Einfach mal bei den Chili Peppers, den Beastie Boys und diversen HipHop-Platten reingehört – simpel gestrickte Zeitgenossen betreiben Bodybuilding am Strand, verwöhnte Upper-class-Burschen skaten auf schnellsten Wege zu ihrem privaten Zen-Meister, sammeln Autogramme vom Dalai Lama und träumen von der Befreiung Tibets, während sich gleich nebenan die Black Community in eigens dafür eingerichteten Ghettos mit Mord und Totschlag beschäftigt. So sieht es dort aus: Man weiß es, braucht gar nicht erst hinzufahren.

Und der Pott? Auf Ewigkeiten wird er mit Grönemeyers „Bochum“-Gesängen verbunden sein, seiner kulturpessimistischen Ode an bereits bröckelnde Strukturen, einer von heute aus betrachtet stillgelegten Zeche der gewissermaßen popmusikalischen Art, die nutzlos in der Gegend rumsteht und sagt: „Das war damals.“ Dann kam der Strukturwandel, und mittlerweile machen alle in Elektronik. Drei Compilations dokumentieren diese Entwicklung: „Dodge“ und „Pottheadz“ aus Bochum sowie „Discokugel Dortmund“.

Bochum und Dortmund. Läßt man sich auf den direkten Städtevergleich ein, scheint Bochum vor allem die Heimstatt der selbstgedreht bekifften, heimwerkelnden Elektroniksoundtüftler zu sein. Der gemeine Dortmunder hingegen pflegt Saus und Braus. Schwer hat er damit zu tun, das Haus korrekt in Grund und Boden zu rocken und dabei so lange keine Ruhe zu geben, bis auch der letzte Stein nicht mehr so auf dem anderen liegt wie noch gerade zuvor. „Discokugel Dortmund“ bietet dazu grundsolide und kampferprobte House-Muster, die zum Zwecke unbedingter Partytauglichkeit dekorativ mit Discosamples behangen werden wie ein Weihnachtsbaum mit Lametta. Nicht filigran, sondern hemdsärmelig. Leidenschaftlich statt abgeklärt. Effektiv und wissend. Das innere Grinsen bekommt man via Songtitel gleich mitgeliefert. „Du fährst mich verrückt“ als Spaß-Garagen-Edit von der Entity Squad oder „Ich geb' dir gleich mellow“ von Herb L.F. Dazu rumsbumst der Beat entschlossen four to the floor, während die Lichtorgel schwungvoll über den Köpfen zahlloser Modernisierungsverlierer und –gewinnler kreist, als gäbe es kein Morgen – daß Strukturwandel auch praktizierten Hedonismus begünstigt, läßt sich also nicht nur am Beispiel Nordenglands studieren.

„Pottheadz“ nimmt sich dagegen beinahe verschlafen träge aus wie auch gleichermaßen abenteuerlich heterogen. So spannt die Compilation im Untertitel den Bogen „from electro & trip hop to drum'n'bass“, hat aber zudem noch jede Menge Big Beat im Programm. Als Partyaccessoire taugt die Platte kaum, eher für angenehm desillusionierte Nachmittage im Auto, am Fenster oder vor der Playstation – „Pottheadz“ funktionieren als Soundtrack für schwer mit dem gewissen Nichtstun Beschäftigte. Was soll man auch tun, wenn es nichts zu tun gibt. Irgendwann geht der Tag schon vorher. Bis dahin: zurücklehnen, tief einatmen, zuhören, das Ausatmen nicht vergessen. Wenn man so will, ist das die THC-gemütliche Kehrseite des amphetamin-fröhlichen Discokugel-Phänomens.

Im Gegensatz dazu kommt die Label-Compilaton „Dodge“ ausgenüchtert und erwachsen daher. Zwar gibt es mit der „Pottheadz“-CD durch Beiträge von In Vivo, Impulse und Maas 2008 personelle Überschneidungen, doch widmet sich die Platte streng den Spielarten Electro und Electronic Listening, an denen ernsthaft eigenbrötlerisch zwecks Innovation getüftelt wird. Nicht selten hat das wunderbaren Hobbykeller- Electrofunk zum Ergebnis. Nur einmal gestattet sich die Platte einen Scherz und droht mit Hirzel E.V. „Oder ich hol' die Bullen“, geschenkt. Ansonsten läßt sich feststellen: Der Ruhrpott lebt. Wie auch immer. Harald Peters

V.A.: Pottheadz (Bochumer Ton Manufaktur/RTD)

V.A.: Discokugel Dortmund (Draft Recordings/Indigo)

V.A.: Dodge – The Compilation (Dodge/Indigo)