Trennung von Staat und Kirche

■ betr.: „Kirchen beten Grüne über fünf Prozent“, „Westfälischer Friede“, taz vom 30.3. 98

[...] Hier zum 527. Mal: Niemand bestreitet den Kirchen, von ihren Mitgliedern Mitgliedsbeiträge in Höhe von 9 Prozent – oder von 90 oder 900 Prozent – der Einkommensteuer einzutreiben! Lediglich der Charakter dieser Beiträge als Steuer und der staatliche Einzug werden kritisiert. Die Höhe der Einnahmen interessiert dabei nicht, sondern einzig der Umstand, daß so zum Beispiel Arbeitnehmer gezwungen sind, ihre Konfession zu offenbaren, und daß sich der Staat um die Mitgliedsbeiträge anderer Vereinigungen ja auch nicht kümmert.

Viel wichtiger aber ist, daß der Kommentar von Bernhard Pötter zwar viel Richtiges enthält, aber leider die Realität verfehlt: Es ist richtig, daß am politischen Partner die punktuelle Übereinstimmung wichtig ist, und es ist ebenso richtig, daß man politische Verbündete nicht lieben muß, um mit ihnen an einem Strang zu ziehen.

Allerdings erweckt die Berichterstattung der taz, vor allem aber der Kommentar, den Eindruck, dies sei die Position von Röstel und Nickels, während andere Kräfte in der Partei aus ideologischen Gründen die Zusammenarbeit blockierten. Das Gegenteil ist aber richtig! Denn die Politik von Nickels, Röstel & Co. soll nicht eine punktuelle Zusammenarbeit mit den Kirchen gegen eine ideologische Opposition durchsetzen – die es in der Form gar nicht gibt, da niemand ernsthaft gegen eine punktuelle Zusammenarbeit sein kann –, sondern auf anderen Gebieten eine punktuelle Arbeit gegen die Kirchen verhindern.

Es ist diese christliche Lobby bei den Grünen, die vehement die Forderung erhebt, die Kirchen müßten geliebt werden, um mit ihnen zusammenarbeiten zu können: Man könne doch nicht punktuell mit den Kirchen zusammenarbeiten, in anderen Punkten aber gegen sie arbeiten. Aus diesem Grund auch werden die Kirchen als Bündnispartner im Programm nicht in den Kapiteln Wirtschafts- und Sozialpolitik als den Bereichen genannt, wo sie potentielle Verbündete sind, sondern im Kapitel „Verhältnis von Staat und Kirche“, also in einem Bereich, wo sie es nicht sind. Und daß das Grundrecht der Religionsfreiheit überhaupt Erwähnung findet, mußte gegen den Widerstand von Frau Nickels erst erstritten werden: Nach dem ersten Entwurf des Wahlprogramms sollten Kirchen nur noch Verbündete und Partner sein, und die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche wurde damit entschuldigt, daß dies auch Christen so sähen.

Tatsache ist zwar, daß die Kirchen konsequent – „wer nicht für mich ist, ist wider mich“ – eine Alles-oder-nichts-Haltung verlangen und punktuelle Differenzen zum Anlaß nehmen, die Grünen in Bausch und Bogen als Kirchenfeinde zu verdammen, mit denen es eine Zusammenarbeit nicht geben könne. Tatsache ist aber auch, daß die Kirchen selbst umgekehrt keine derartige Haltung zeigen: Nie und nimmer würden die Kirchen Abstriche im Bereich Abtreibung oder Kirchensteuer machen, um die Grünen als Bündnispartner in der Sozialpolitik zu umschmeicheln.

Das Interesse der Kirchen in der ganzen Angelegenheit ist offensichtlich: Sie bieten den Grünen die Hand in der Sozialpolitik und verlangen als Gegenleistung, daß die Grünen keine Interessen der Kirchenfreien vertreten. Daß sie dies fordern, ist verständlich – allerdings sind Nickels und Röstel auch nur allzugerne bereit, dem nachzugeben, um sich bei den Kirchen lieb Kind zu machen. Sie übersehen dabei bereitwillig zweierlei: 1., daß die Kirchen in diesen Fragen auf die Unterstützung der Grünen ebenso angewiesen sind wie umgekehrt, sich also auch ohne Gegenleistung mit den Grünen zusammentun müssen, wenn ihnen ernstlich an diesem Thema liegt. Und 2., daß dem Gewinn auf der einen Seite ein empfindlicher Verlust auf der anderen gegenübersteht, nämlich der Verlust des Rückhalts in kirchenfreien Kreisen, bei denen die Grünen den mit Abstand größten Wähleranteil haben und die durch diese Politik verprellt werden.

Vor allem aber wäre zu klären, wie ernst denn die Kirchen ihr sozialpolitisches Engagement überhaupt nehmen. Denn als Verbündete gegen Ellbogenmentalität und Sozialabbau ist vielleicht wenig glaubwürdig, wer selbst fleißig Sozialabbau betreibt. Und da kommt es gerade recht, wenn zeitgleich zu der großen Westfälischen Verbrüderung die Forderung von Mitarbeitern der Diakonie nach einer Gewerkschaft laut wird und Klage über massiven Sozialabbau bei der Kirche geführt wird: Laut Darmstädter Echo vom 28.3., unter Berufung ausgerechnet auf den Evangelischen Pressedienst, hat in den vergangenen Monaten die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Ausbildungsvergütungen um bis zu 30 Prozent gekürzt, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gekürzt und – wenn auch nur als Ausnahmeregelung – den Zwölfstundentag wiedereingeführt.

Und zur gleichen Zeit erheben die Grünen das Bündnis mit diesem stolzen Bollwerk gegen den Sozialabbau zum Programm. Dr. Christian Brückner, Mitglied

der Landesarbeitsgemeinschaft

„Trennung von Staat und Kir-

che“ von B'90/Die Grünen

Nordrhein-Westfalen

Euren „Aufmacher“ habe ich mit großem Interesse gelesen, da ich mich als Katholikin beruflich und ehrenamtlich viel mit dem Sozialwort der Kirchen beschäftigt habe und mir dadurch schon früher die Parallelen in einigen wesentlichen Punkten zur Politik der Grünen deutlich geworden sind. Wir beschäftigten uns auch in einem ökumenischen Arbeitskreis in Bonn ehrenamtlich mit dem Sozialwort und wollen ein Modell entwickeln, wie ein neuer bewußter Lebensstil neue Perspektiven bis hin zu einem neuen Lebensgefühl bieten kann.

Vor diesem Hintergrund hat mich auch die Fünf-Mark-Debatte in den letzten Wochen geärgert, weil ich eben denke, da trauen sich mal welche, konkret zu werden, und werden gleich verteufelt, ohne daß jemand das Konzept, das in dieser Form keine Partei bieten kann, genauer hinterfragt. Sabine Schumacher, Bonn