Erstmal das Lernen lernen

Etwa 30 Prozent aller Nachhilfestunden in Deutschland werden von kommerziellen Instituten erteilt – nicht immer seriös  ■ Von Christine Holch

Vanessa (15) brachte im Halbjahreszeugnis eine Fünf in Mathe und Latein nach Hause. Sie selbst sah's gelassen, hatte sie doch in Deutsch und Bio eine Zwei. „Außerdem“, so argumentierte sie gegenüber den besorgten Eltern, „bin ich ja nicht dumm, sondern nur faul.“Vielleicht lernt sie falsch, überlegen die Eltern. Da könnte Vanessa geholfen werden: So macht Lernen Spaß heißt das Buch aus dem Beltz-Verlag, das der Hamburger Schulpsychologe Michael Grüner empfiehlt. Darin wird zum Beispiel geraten, bei den Hausaufgaben mit dem Fach anzufangen, das am meisten Spaß macht, also keineswegs mit dem schwersten, wie es Eltern immer fordern.

Vielleicht aber sind Vanessas Lücken mittlerweile schon so groß, daß sie Nachhilfe bräuchte, grübeln die Eltern weiter. „Ich hab' ja auch mal Abitur gemacht“, meint die Mutter und schnappt sich Vanessas Bücher. Bloß nicht, sagt da Michael Grüner, Leiter der Dienststelle Schülerhilfe, einer Einrichtung der Hamburger Schulbehörde, die Eltern und SchülerInnen berät. „Eltern sind kaum geeignet – wegen der zu großen emotionalen Nähe.“Eltern sind viel zu ungeduldig. Sie fühlen sich leicht selbst in Frage gestellt, wenn ihr Nachwuchs sich anscheinend so blöde anstellt. Viel besser ist die Nachhilfe durch Externe.

Nur, wie stellt man's an, daß man nicht in die Fänge eines unseriösen kommerziellen Nachhilfe-Instituts gerät? Halt, halt, meint da der Schulpsychologe. Zuallererst sollten sich die Eltern mit dem Klassen- oder Beratungslehrer besprechen. Wie groß sind die Lücken? Ist Einzelunterricht angesagt oder reicht Gruppennachhilfe? Sind es vor allem Konzentrationsschwierigkeiten, die hemmen, oder werden noch Lücken aus der letzten Klasse mitgeschleppt? In welchem Fach wäre Nachhilfe am sinnvollsten? Denn keinesfalls sollte in mehr als zwei Fächern nachgeholfen werden.

Die Schule kann in der Regel SchülerInnen aus höheren Klassen nennen, die Nachhilfe geben. Der Altersunterschied sollte allerdings schon vier Jahre betragen, meint Grüner, sonst gibt's leicht Autoritätsprobleme. Ziel der Nachhilfe sollte sein, Anschluß zu finden, alte Lücken systematisch zu schließen und nicht zuletzt das Lernen zu lernen. So daß der Nachhilfelehrer irgendwann überflüssig wird.

Rund 70 Prozent der Nachhilfestunden in Deutschland werden privat von SchülerInnen, Studierenden oder arbeitslosen LehrerInnen erteilt, die restlichen 30 Prozent von kommerziellen Instituten, etwa dem „Studienkreis“oder dem Branchenriesen „Schülerhilfe GmbH“mit seinen bundesweit rund 800 Filialen. Die Kommerziellen findet man in den Gelben Seiten unter „Unterricht“.

Doch Vorsicht! Etwa zwei Drittel aller Nachhilfe-Institute arbeiteten mit „unzulänglichen oder sogar unseriösen Mitteln“, warnt die Aktion Bildungsinformation e.V. (ABI) in Stuttgart. Die ABI, eine Art Verbraucherschutzstelle für Bildungsfragen, gibt ein Merkblatt mit Ratschlägen für Eltern heraus.

Kriterien für Qualität und Seriosität sind laut ABI und dem Schulpsychologen Grüner:

q Eine oder mehrere Probestunden sollten möglich sein. Auch die Eltern sollten mal zuhören können.

q Der Vertrag muß kündbar sein, möglichst kurzfristig, also monatlich, allenfalls vierteljährlich.

q Die Ferien sollten beitragsfrei sein.

q Eine Gruppe mit dem Anspruch individueller Förderung darf nicht mehr als fünf bis zehn SchülerInnen haben. Nur reine Paukkurse (etwa für Prüfungen) dürfen 20 bis 25 SchülerInnen haben.

q Die Gruppe muß homogen sein: Die SchülerInnen sind aus derselben Schulart, möglichst aus derselben Klassenstufe (plus/minus eins) und bekommen im selben Fach Nachhilfe.

q Preise: Einnahmen von über 100 Mark pro Stunde und Gruppe für das Institut sind unangemessen.

q Die LehrerInnen sollten auch das Lernen lehren. Materialien zeigen lassen!

q Und ganz wichtig: Sie sollten Kontakt mit den FachlehrerInnen der SchülerInnen halten.

Das gilt aber auch für die Eltern: Bereits vor Beginn der Nachhilfe die FachlehrerInnen darauf aufmerksam machen, damit diese auf den jeweiligen Schüler ein Auge haben und Veränderungen rückmelden können.

Allzu hohe Erwartungen sollte man allerdings nicht haben: „Ein bis zwei Noten sind drin, auf's ganze Jahr gesehen – auf's halbe Jahr sollte man gar nicht erst gucken, damit Druck rausgenommen wird“, rät Michael Grüner. Und wenn sich nach einem Jahr nichts wesentlich geändert hat? „Es gibt nichts Schädlicheres als jahrelange Nachhilfe, die ein Kind an einer Schulform hält, an der es eigentlich überfordert ist“, sagt der Psychologe klipp und klar.

Weitere Infos:

Aktion Bildungsinformation e.V., Alte Poststraße 5, 70173 Stuttgart, Tel.: 0711/299335

Dienststelle Schülerhilfe der Hamburger Schulbehörde: anonyme, sofortige und kostenlose Beratung für Eltern und SchülerInnen unter Tel. 040/25 77-18 51 – werktags außer in den Ferien 9 bis 16 Uhr, Mi und Fr nur bis 12.30 Uhr