Buntes Opfer böser Zungen

■ „Deldorado“ist Delmenhorsts neues Stadtmagazin / Eine Zeitungsbetrachtung

„Delmenhorst ist ein allzu beliebtes Opfer böser Zungen. Die Stadt sei kriminell, langweilig, ja tot, wird Ihnen so manch einer überzeugt unterbreiten, ohne auch nur jemals in die Nähe unserer verrufenen Heimat gekommen zu sein.“Mit diesem Ruf mußte Bremens kleine Nachbarstadt gewiß 738 Jahre lang leben, und miese Menschen treiben das Dilemma in jüngster Zeit mit dem Begriff „Delmendaddel“auf die Spitze. Doch all diese Schmähungen sollen von nun an der Vergangenheit angehören. Denn es gibt „Deldorado“, das neue Stadtmagazin für Delmenhorst. Augen auf!!! Jetzt! Jeden Monat neu! Mit Werbung, die auffällt. Jung, frisch, fröhlich! Für eine konsumfreudige Zielgruppe. Machen Sie mit!

Michalina Koscielniak fordert dazu auf. Die Gymnasiastin ist eine der amtierenden Miss Germanys und kommt aus Delmenhorst. Eigentlich kommt sie aus Polen, aber wer kommt schon tatsächlich aus Delmenhorst? „Miss Germany aus Delmenhorst“lächelt, zum Fotografen und so zur LeserIn aufblickend, in Farbe auf dem Titel und in Schwarz-weiß auf der ersten Umschlagsseite. Jung, frisch und fröhlich! Wäre da nicht diese Erinnerung an Illustrierten- und Plattencover aus den 70er Jahren. Verwaschene Bonbonfarben. Für eine Stadt mit „Kulturszene, erfolgreichen Firmen, kreativen und innovativen Menschen“.

Denn Delmenhorst ist nicht tot. Das beweist der Veranstaltungskalender (Service!) für diesen Monat. „Deldorado“präsentiert im April rund 50 Theateraufführungen, Messetermine, Fahrten in den (Bremer) Bürgerpark und ein „Feuerwerg“anläßlich des Kramermarkts. Großzügig gewährt das Blatt diesen Terminen – eineinhalb Seiten Platz. Ein Schelm, wer dabei an Loriot und seinen Ausspruch des Wortes „übersichtlich“denkt. Denn „Deldorado“leistet, was eine Zeitung heutzutage leisten muß: Nämlich Orientierung bieten, weil das Leben ist schon hart genug.

Für Dieter Röhrig zum Beispiel. Er lenkt seit einem Jahr die sportlichen und geschäftlichen Geschicke des „SV Atlas“, einem Sportverein mit Fußballabteilung und Regionalligamannschaft, und wenn man diesen zupackend-hemdsärmligen Menschen sieht, weiß man, warum er das macht. „SV Atlas in Nöten“titelt „Deldorado“, weil „nach zahlreichen Niederlagen der Abstieg droht“. Was macht einer wie Röhrig in dieser Lage? Eine eigene Stadionzeitung gründen und „optimistisch“(Anreißer) oder „zuversichtlich“(Bildunterschrift) in die Zukunft blicken. Und so antwortet er auf die Frage, was er gegen das leere Stadion tun wolle: „Wir haben freie Werbeflächen an den Banden, die relativ günstig sind.“Da kommt Freude auf, Konsumfreude, die den „ambitionierten Models für unsere Fashionseiten“ein Glänzen in die Augen und sie wochenends ins „Inflagranti“treibt. Weil „die Leute hier nicht so arrogant sind“wie in Oldenburg oder Bremen und weil „Lisbeth (66) seit sieben Jahren bei kleineren und größeren Nöten hilft“.

Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit: Das sind die Grundsätze, unter denen „Deldorado“die Delmemetropole erscheinen läßt. Auf Seite 22 der Aprilausgabe erfährt der geneigte und zunehmend eingenomme Leser, daß auch in diesem Jahr – am 12. Juni – ein Stadtfest stattfindet und daß das „Il Salento“seinen Standort verlegt – „im Juni/Juli ist es soweit“.Nach allem verwundert nicht, daß das Thema Kriminalität in Delmenhorst in „Deldorado“ausgewogen betrachtet wird: Das – irgendwann – in der Buchhandlung Dauelsberg ausgebrochene Feuer sah nur „von ferne“so dramatisch aus. Tatsächlich war die binnen zwei Minuten eingetroffene Feuerwehr trotzdem zu spät zur Stelle: Außendienstmitarbeiter Hartmut Kurzbach hatte den Brand bereits gelöscht. Der beruhigte Leser wundert sich drei Seiten später mit der Bildunterschrift unter dem Foto von Kriminaloberrat Gerd Krüger (Blick von hinten über die Schulter) über die polizeiliche Statistik: „Interessanter Trend: Kriminalitätssrate bei Jugendlichen steigt.“

Doch im Spiegel von „Deldorado“ist Delmenhorst nicht bloß interessant. Die Stadt ist faszinierend und bleibt geheimnisvoll zugleich. Die eigenen Fotos – bei Portraits wird die Freistellung bevorzugt – sind durch eine leichte Unschärfe und gewagte Anschnitte gekennzeichnet. Alles wirkt irgendwie under cover. So wie die zweiseitige Anzeige einer hier namenlos bleibenden, möglicherweise mit dem Herausgeber identischen Werbeagentur. Einem Foto zufolge teilt sie sich mit der Bäckerei Tenter ein Geschäftshaus und hat Namen wie Bud Spencer, Ivan Rebroff, Playboy, Penthouse oder Tic Tac Toe auf der Referenzliste. „Werbung, Verkaufsförderung, Umsatzsteige-rung ...“sind mit diesem jungen, dynamischen Team im Höhenbökenhaus zu erreichen. „Machen Sie einen unverbindlichen Termin!“fordert die Agentur telefon- und namenlos schließlich auf. Ja, das ist sie, die Werbung, die auffällt. ck