■ Der Teheraner Bürgermeister und Chatami-Freund wurde verhaftet
: Läßt sich der Gottestaat reformieren?

Mit der Verhaftung des Teheraner Bürgermeisters Gholam Hussein Karbaschi geht die Zeit des Schweigens und des Hinnehmens auch für den iranischen Präsidenten Chatami zu Ende. Denn der Teheraner Bürgermeister ist einer der engsten Vertrauten des Präsidenten. Ohne massive Unterstützung des Teheraner Rathauses wäre ein Sieg Chatamis nicht vorstellbar gewesen. Der Bürgermeister muß nun also für den Präsidenten büßen.

Seit zehn Monaten ist nun Chatami im Amt, und seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem die Hardliner nicht mit aller Macht demonstrieren, wie machtlos der gewählte Präsident ist. Chatami wurde zwar mit einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung gewählt, doch die eigentlichen Machtinstitutionen des Landes sind weiterhin unter Kontrolle der Radikalen: das Parlament, der Justizapparat, die Sicherheitskräfte, Funk und Fernsehen sowie die wichtigsten Schlüsselpositionen in der staatlichen Wirtschaft. Diese Apparate wurden und werden systematisch eingesetzt, um den Präsidenten oder, besser gesagt, um seine Wähler zu demütigen. Warum aber Chatami schweigt und all das hinnimmt, dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst die verfassungsrechtlichen. Die Islamische Republik hat zwar eine präsidiale Verfassung, doch neben, oder genauer: über dem Präsidenten steht der Revolutionsführer, der nach der Verfassung fast uneingeschränkte Macht besitzt.

Chatami kann und will aber die Verfassung der Islamischen Republik nicht offen in Frage stellen. Seine Parolen während des Wahlkampfes lauteten: Die Errichtung einer zivilen Gesellschaft ist ohne Gesetzestreue nicht möglich. Er ist also angetreten, um die Islamische Republik schrittweise zu reformieren, deshalb nimmt er alles hin. Doch was das Gesetz zu sein hat, das bestimmen seine Gegner. Für eine Verfassungsänderung und eine echte Reform könnte Chatami, wenn er wollte, zwar seine Wähler, nämlich beinahe 70 Prozent der iranischen Bevölkerung, mobilisieren, aber auch er scheut die Macht der Straße. Denn die wirtschaftliche und politische Situation ist so bedrückend, daß sich eine Reformbewegung schnell radikalisieren könnte. Dann wäre eine bürgerkriegsähnliche Situation oder ein Putsch der mächtigen und machthungrigen Revolutionsgarden durchaus vorstellbar, das wollen viele nicht, und vor allem Chatami nicht. Doch diese Sackgasse, in die der Präsident hineingeraten ist, zeigt auch die Grenzen der Reformierbarkeit der Islamischen Republik. Ali Sadrzadeh

Der Autor ist Redakteur beim Hessischen Rundfunk