Neue Straßen rauben Stuttgarts Nahverkehr Millionen

■ Die Verkehrsbetriebe verlieren drei Millionen Mark jährlich, wenn die Stadt vier geplante Straßen baut. Grund: Bis zu sieben Prozent der Fahrgäste würden aufs Auto wechseln

Freiburg/Stuttgart (taz) – Wer Schnellstraßen baut, schädigt den öffentlichen Nahverkehr, dies untermauert nun noch einmal eine Studie Münchener Ingenieure im Auftrag des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS). Der ließ untersuchen, wie gravierend ihn vier Straßenbauprojekte in Stuttgart und Umland treffen. Ergebnis: Sollten alle vier realisiert werden, verliert der VVS täglich 6.000 Fahrgäste – drei Millionen Mark Einnahmen gingen dem Verbund dann pro Jahr verloren.

Zum Beispiel wurde der geplante Ausbau der B 464 zwischen den Orten Holzgerlingen, Böblingen und Renningen durchgerechnet. 800 zusätzliche Autofahrten werden mit der neuen Trasse pro Tag hervorgerufen, indem bisherige Bahnkunden auf den Pkw umsteigen – das sind sieben Prozent aller Fahrgäste. Besonders die vor wenigen Jahren reaktivierte Schönbuchbahn südwestlich von Stuttgart würde unter der neuen Straße leiden.

Ähnlich sind die Zahlen bei den anderen Projekten: Durch jede der vier neuen Schnellstraßen ergibt sich ein Rückgang der Fahrgastzahlen in den parallel verlaufenden S-Bahnen von vier bis sieben Prozent. „In Zeiten angespannter wirtschaftlicher Lage“, so VVS- Sprecher Wilfried Vilz, „schmerzt das besonders.“

Die Berechnungen stammen vom Münchener Ingenieurbüro Intraplan Consult und beruhen auf einer sogenannten Regressionsanalyse. Aus regelmäßigen Fahrgastzählungen und -befragungen ist bekannt, welche Faktoren in welchem Maße für die Wahl des Verkehrsmittels entscheidend sind. Die Reisezeit spielt eine Rolle, die Taktfrequenz und auch die Wahrscheinlichkeit, als Pkw- Fahrer einen Parkplatz zu finden. Natürlich haben auch die Fahrtkosten großen Einfluß oder auch die Frage, ob es Direktverbindungen gibt oder ob man umsteigen muß.

Der Bedeutung dieser Faktoren auf das Verhalten potentieller Fahrgäste wird für jede Personengruppe separat ermittelt. Denn die Reisezeit ist etwa für Berufspendler von größerer Bedeutung als für Wochenend-Ausflügler, das Umsteigen ist für taschenbeladene Hausfrauen und Hausmänner unangenehmer als für junge Menschen auf dem Weg ins Kino. „Die Verfahren zur Nachfragesimulation sind bewährt und standardisiert“, sagt Utz Senger, Geschäftsführer von Intraplan Consult. Die Daten hat das Büro zusammen mit Professor Gerhard Heimerl vom Verkehrswissenschaftlichen Institut der Universität Stuttgart erarbeitet.

Der VVS kann über die Perspektiven natürlich gar nicht glücklich sein und fordert daher „Planungen mit Augenmaß“. Es dürfe nicht mehr Ziel der Verkehrspolitik sein, einen optimalen Ausbau allein des Straßennetzes zu erreichen. Vielmehr müßten die Mittel derart eingesetzt werden, daß „die höchste Effizienz für das gesamte Verkehrsnetz im Zusammenspiel von öffentlichem Verkehr und privatem Autoverkehr“ erreicht werde. Dies sei nur möglich, so die Studie, wenn weitere Komfortverbesserungen des großräumigen Straßennetzes vermieden würden. Statt dessen müsse „die Begrenzung der Leistungsfähigkeit und der Geschwindigkeit“ der Straßen bei der Planung „stärkere Beachtung finden“. Bernward Janzig